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13-Jährige als letztes Aufgebot

Als am 21. April 1945 Bischofswerda seine Bereitschaft zur Verteidigung der herandrängenden sowjetischen und polnischen Armeeeinheiten meldete, sah es damit in der Stadt eher bedenklich aus. Die Panzersperren waren nur mit Volkssturmmännern besetzt, die zum letzten Aufgebot zählten.

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Von Heidrun Schäfer

Als am 21. April 1945 Bischofswerda seine Bereitschaft zur Verteidigung der herandrängenden sowjetischen und polnischen Armeeeinheiten meldete, sah es damit in der Stadt eher bedenklich aus. Die Panzersperren waren nur mit Volkssturmmännern besetzt, die zum letzten Aufgebot zählten. Joachim Mütze erzählte, dass den Hitlerjungen bei der letzten Übung Waffen ausgegeben worden waren und ihnen ihre Einsatzorte genannt wurden. Er sollte sich mit seinem Kameraden an der Kreuzung Bischofstraße/Bismarckstraße zur Verteidigung einfinden.

Seine Mutter verbot ihm das und er musste mit auf die Flucht. Die Waffen blieben zu Hause im Schuppen. Nachts entfernten sich die beiden Jungen vom Treck, um ihrer „Führerpflicht“ nachzukommen. An ihrem Einsatzort fanden sich die damals 13-jährigen Jungen mit einer Panzerfaust und einem Revolver ein. Nur dem Verstand und der Vernunft von deutschen Regulierern, die auf der Kreuzung die letzten deutschen Armeeeinheiten umleiteten, verdanken sie ihr Leben. Die ließen sie die Waffen abgeben. Fanatisiert hätten die beiden Jungen sonst vielleicht ihr Leben riskiert. Andere leisteten sinnlosen Widerstand. So mussten die miteinander verbündeten polnischen und sowjetischen Truppen täglich Opfer bringen, denn ihr Feind hatte auch zivile Gesichter.

Verfolgt man allerdings Veröffentlichungen aus früherer Zeit über die letzten Kriegstage, dann findet man nichts darüber, dass der Krieg nicht nur Deutsche fanatisiert hatte. Auf dem Friedhof in Pohla liegt ein deutscher Soldat, der bei der Verteidigung der Bischofswerdaer Kaserne und dem folgenden Rückzug der deutschen „Invalideneinheit“ verletzt zurück blieb. Man fand ihn mit dem Spaten erschlagen und schlimm zugerichtet. Doch auch die in der Stadt zurückgebliebenen Zivilisten hatten nichts Gutes zu erwarten. Frauen wurden vergewaltigt und anschließend erschlagen, Männer beim Überqueren der Straße erschossen.

Wir wissen nicht alles, was sich in der Stadt abgespielt hat, denn die meisten Zurückgebliebenen saßen in ihren Kellern und rührten sich kaum raus. Dazu kam noch, dass polnische und russische Fremdarbeiter, die während des Krieges zur Zwangsarbeit nach Deutschland transportiert worden waren, jetzt auf dem Weg nach Hause plünderten. Anderes berichtete Rosa Richter, die noch am Tag vor der Flucht zehn Zentner Kartoffeln für ihr Kolonialwarengeschäft geliefert bekommen hatte und die ihr aus dem Keller geholt worden waren. Das konnten nur Deutsche und Nachbarn gewesen sein, die den Antransport beobachtet hatten.

Das ist Krieg! Ungeahnte und danach nicht mehr für möglich gehaltene negative Energien werden in Menschen freigesetzt. Zurück bleibt Verdrängen, wenn es hoch kommt Scham. Gleichwohl gibt es aber auch Beispiele der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft.

30 wählten den Freitod

So hat die polnische Fremdarbeiterin der Familie Jänke den Leuten im Keller des Gasthofes „Zur Linde“ durch Vermittlung zu polnischen Soldaten wahrscheinlich das Leben gerettet. Fanatisiert und um ihren Lebenssinn gebracht, nahmen sich viele Menschen auch selbst das Leben. Was sich in den Apriltagen 1945 in der Bodenkammer des Hauses Goldbacher Weg 7 abgespielt hat, wird keiner erfahren. Sechs erhangene Personen fand man am 22. April 1945 dort. Die Älteste war 76 Jahre alt, die Jüngste sieben. Andere nahmen sich aus Angst das Leben, wieder andere, weil sie Grausamkeiten erlebt hatten und sich aufgaben. 30 Menschen brachten sich in unserer Stadt selbst um.

Vom 24. bis 26. April kam es nochmals zu Kampfhandlungen in Bischofswerda. Gekämpft wurde um die Anhöhe Drebnitzer Weg. Vom Napoleonstein aus wurde der Beschuss durch Haubitzen geführt. Die polnische Armee verteidigte den strategisch wichtigen Punkt, und 20 junge Deutsche, keiner älter als 19 Jahre aus der Gegend um München stammend, fielen hier im Kampf. Sie wurden auf dem Neuen Friedhof in Bischofswerda beigesetzt. Wie viele Polen hier im Kampf fielen, ist unbekannt. Die polnischen Truppen nahmen ihre Toten mit, um sie in polnischer Erde zu bestatten. Auch eine Reihe von Zivilisten wurden am 24. April 1945 wahrscheinlich beim Rückzug der russischen und polnischen Einheiten scheinbar wahllos in ihren Wohnungen erschossen. Die Bischofswerdaer Bevölkerung hörte am 26. April 1945, dass die Stadt wieder in deutscher Hand war. Freude kam auf. Viele versuchten nach Hause zu kommen. Keiner wusste, dass genau dieser Rückzug den Bischofswerdaer Volkssturmmännern, die in Bautzen zum Teil seit Januar im Einsatz waren, das Leben gekostet hatte. Beim Rückzug der polnischen und russischen Truppen wurden keine Gefangenen mitgenommen. Dort, wo man sie gefangen gehalten hatte, im Pferdestall, in der Scheune und im Schuppen, waren sie erschossen oder verbrannt worden. Von deutschen Soldaten wurde wiederum ein polnisches Lazarett beim Vormarsch ausgetilgt. Auch die Sanitäterinnen und die Helfer fielen dem Massaker zum Opfer. Der Mensch als Kriegsbestie auf beiden Seiten.

Nachdem Bischofswerda wieder in deutscher Hand war, kamen Vorposten der geflüchteten Einwohner zum Nachschauen in die Stadt. Viele berichten, dass auf dem Altmarkt an einer Laterne ein Pole gehangen hat. Er war zusammen mit zwei anderen polnischen Zwangsarbeitern beim Plündern des Schuhlagers Hornuf erwischt worden. Auf Plündern stand im Krieg unter Frontbedingungen die Todesstrafe, und so erhielten die drei noch kurz vor dem Ende des Kriegsgrauens ein „ordentliches“ Urteil und eine standrechtliche Erschießung. Einer von ihnen wurde als abschreckendes Beispiel an die Laterne gehangen. Er hing noch, als am 8. Mai 1945 der letzte Angriff auf Bischofswerda stattfand.

Fürs Plündern getötet

Die Stadt war diesmal fast völlig geräumt, kaum einer der Einwohner hatte den Mut gehabt, ein weiteres Mal im Frontgebiet zu überleben. Von den 38 Wohnhäusern, gingen die meisten an diesem Tag durch Plündern und Brandlegung in Flammen auf. Nochmals fanden Zivilisten einen grausamen Tod. In der Nacht zum 9. Mai 1945 dann Freudenschüsse auf dem Altmarkt, die längst fällige bedingungslose Kapitulation Deutschlands hatte den Krieg und das sinnlose Morden endlich beendet. Die Aufarbeitung von Schuld aber hält bis heute an.

Wenn junge Leute nicht in die Verantwortung genommen werden wollen für deutsches Unrecht im Krieg, dann kann ich das verstehen. Ist doch alles weit vor ihrer Zeit geschehen. Man erwartet von ihnen auch nicht, die Schuld zu tragen. Die geschädigten Völker erwarten nur die innere Abgrenzung der jungen Deutschen von deutschen Untaten des Weltkrieges. Dass auch die Sieger nicht immer „menschlich“ Krieg führten, ist im Wesen eines solchen Krieges bedingt. Und schon sind wir in der Diskussion über den Krieg als Lösung von Problemen und damit mitten in einer unendlichen Geschichte, die in der Gegenwart wieder ganz aktuell ist.

Literatur: Erlebnisberichte von Frau Hübner, Frau Richter, Herr Forgberg, Herr Dr. Eggert, Unterlagen des Standesamtes Bischofswerda beim Stadtarchiv Bischofswerda, Unterlagen der Stadtverwaltung beim Stadtarchiv Bischofswerda

Über die letzten Kriegstage in Bischofswerda spricht Heidrun Schäfer am 9. Mai , 19 Uhr, im Hotel Evabrunnen im Rahmen der Vortragsreihe des Vereins für Museum und Stadtgeschichte.