Freistaat macht in Großenhain sauber

Großenhain. Jede Tankstelle, an der es derart nach Treibstoff riechen würde, wäre umgehend dicht. Am Großenhainer Flugplatz ist der schwere Geruch nach Jahrzehnte altem Kerosin ein freudiges Ereignis.
Er zeigt an, hier passiert nach 65 Jahren militärischer Nutzung endlich richtig etwas, hier werden Umweltschäden von historischem Ausmaß beseitigt. Als die tonnenschwere Wendemaschine ihre riesige Bodenfräse anwirft, klingt es fast wie der Start einer Flugzeugturbine. Die Luft ist atemraubend kerosingetränkt, der Staub des Bodenaushubs weht fein übers Rollfeld.
Dirk Diedrichs, Amtschef im sächsischen Finanzministerium, klappt den Mantelkragen hoch und hält ihn kurz vors Gesicht. Doch er lächelt. Kein Wunder. Was der Freistaat hier leistet, ist schließlich die umfangreichste Erdsanierung, die es je in Sachsen gab. 205 000 Tonnen kerosingetränkte schwarze Erde müssen entseucht werden.
Auf der Landebahn aufgereiht
Den Job übernehmen Bakterien, die zwar natürlich vorkommen, wie Dr. Ulf Nickol, Leiter der Niederlassung I beim Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, ganz handfest erklärt.
Nur macht man es den Kleinstlebewesen hier so richtig mundgerecht und angenehm, damit ihr Hunger nach Kerosin unermesslich wird. Mit Sauerstoff, Wärme und gelegentlich etwas Wasser und Nährstoffen sind die kleinen Racker so gefräßig, dass sie förmlich nach dem Treibstoff gieren.
Drei Monate bis zu einem halben Jahr rechnet Ulf Nickol, bis eine Abraumreihe kerosinfrei ist. Da haben die Bakterien ordentlich zu tun: Eine solche Erdmiete ist immerhin 140 Meter lang und es dauert vier Stunden, bis sich die Wendemaschine durchgearbeitet hat. Zwölf solcher Erdmieten sollen auf der Landebahn aufgeschichtet werden.
Der Erdaushub kommt derzeit von drei geöffneten Abraumlöchern. Sieben werden es bis 2023 sein. Eine davon befindet sich am Anschlussgleis Nord-West, wo einst die Kesselwagen ankamen und das Kerosin für die Düsenjäger der Russen in die Ringleitung gepumpt wurde. Da ging nicht nur ab und zu etwas daneben – die Tankwagen wurden einfach an Ort und Stelle in den Boden entleert, wenn gerade nicht genug geflogen wurde.
Die Kesselwagen mussten den Flugplatz leer verlassen. So der Befehl aus Straußberg. Auch auf dem Weg der Ringleitung ging einiges ins Erdreich. „Wenn irgendwo ein Loch war, wurde eben der Druck erhöht“, gibt Dirk Diedrichs aus der Geschichte zum Besten.
Das Ergebnis: Bis zu elf Meter tief müssen die mächtigen Greifer stellenweise baggern, um alle schwarzen Schichten zu erwischen. Wo die Erde heller wird, war kein Leck. So einfach war das damals. Diese Vergangenheitsbewältigung läuft genau genommen seit der Wende.
Die Stadt hat in ihrem Teil des Flugplatz-Gewerbegebietes in den 90ern 219.000 Tonne Erdreich ausgetauscht. Der Freistaat hat über Jahre seinerseits 395.000 Liter reines Kerosin zwischen hochsensiblen Grundwasserschichten abgesaugt. Die Gefahr war so groß, dass die sogenannten Kerosinseen ins Großenhainer Grundwasser zu drücken drohten. Erst als die Stadt, damals noch unter Burkhard Müller, mit diesem Szenario richtig Druck in Dresden machte, wurde dieses Mammutprojekt in Angriff genommen.
Immerhin 13 Millionen Euro sind bereits ausgeben. Bis 2026 sollen es weitere 21 Millionen sein. Bei dem Buddeln finden die Firmen natürlich auch so allerlei. Am Dienstag erst, säuberlich vergraben, kistenweise MG-Patronen, außerdem eine Flugzeugturbine und einen vergrabenen halben Lkw.
Auf dem Großenhainer Flugplatz schlummert schon noch die ein oder andere Überraschung. Die Größte dürfte dem Freistaat allerdings gelingen, wenn er in vier, fünf Jahren wirklich einen oder mehrere Großinvestoren präsentiert. Angeklopft haben schon welche, sagt Dirk Diedrichs verschwörerisch. Denn außer vielleicht Berlin-Tegel gibt es keine so großen Areale mehr im Osten. Für Sachsen ist Großenhain jedenfalls ein Glücksfall, sagt er lächelnd.