Ab hinter Gitter

Glaubitz. Besuchsverbote, Unsicherheit über die Zukunft - die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch hinter Gittern deutlich zu spüren. Da gelten Sicherheitsabstände, da wurden Desinfektionsmittel aufgestockt, Räume für eine isolierte Unterbringung vorgesehen.
Wenigstens etwas Abhilfe schafft ein Modellprojekt, das der Freistaat in der JVA Zeithain erproben ließ: Seit dem 21. April ist es Gefangenen nun auch in den anderen sächsischen Anstalten möglich, per Videotelefonie mit Angehörigen in Kontakt zu treten.
Doch auch das funktioniert nur mit Bediensteten, die auch in Zeiten erhöhter Infektionsgefahr Tag für Tag ihren Dienst in den Gefängnissen versehen.
Die Corona-Pandemie fällt mitten in die Ausbildungszeit von zwei Berufsanfängern, die zum Schutz ihrer Privatsphäre hier nur mit ihren Nachnamen genannt werden: Frau Schuster, 29, und Herr Lange, 38, haben beide im September 2019 in der JVA Zeithain angefangen.
Als "Obersekretär-Anwärter im Justizvollzugsdienst", gehören sie zu immerhin fast 20 Mitarbeitern in der JVA Zeithain, die noch in Ausbildung sind. Vier Bewerbungsdurchläufe mussten sie überstehen, um einen der begehrten Plätze zu erringen. Denn nachdem der Freistaat lange um Bewerber für den Dienst hinter Gittern werben musste, ist er in Zeiten zunehmender Unsicherheit offenbar gefragt. "Zuletzt gab es in Sachsen knapp 1.000 Bewerber auf rund 60 Stellen", sagt Benno Kretzschmar, Sprecher der JVA Zeithain.
Zumindest sein neuer Kollege Herr Lange hat gewusst, was hinter Gittern auf ihn zukommt. Als Zeitsoldat der Bundeswehr durfte er zuvor ein Praktikum in der JVA absolvieren - das kann sonst niemand. Dabei konnte der 38-Jährige mal in alle Bereiche hinein schauen - von der Post, über Fahrdienst, Kammer, Sicherheitszentrale bis hin zum Besuchsbereich - der vor Corona noch ganz anders ablief.
Nach zehn Jahren in Uniform beim Bund absolvierte er sein Praktikum allerdings in zivil. "Da wird man schon beäugt, ob man nicht vielleicht Zivilpolizist ist", sagt Lange.
Jetzt allerdings gehört wieder eine Uniform zum täglichen Dienstantritt dazu. Da weiß gleich jeder, mit wem er es zu tun hat. Und wie klappt es mit dem Umgang? "Wie man in den Wald rein ruft, so schallt es heraus", sagt der Anwärter lakonisch.

Vielleicht hilft die Erfahrung mit Rekruten beim Umgang mit Menschen? "Ach, ich habe in der Gastronomie gearbeitet, bevor ich Soldat wurde. Schon von da bin ich den tagtäglichen Umgang mit Menschen gewohnt."
Langes Berufserfahrung hilft ihm auch bei einem Thema, das hin und wieder eine Rolle in der JVA spielt: Beschwerden über die Größe von Essensportionen. "Aber als Gastronom weiß ich, dass bei uns die Standardgröße dieselbe wie in der Gastronomie ist."
Und was den Geschmack angeht, gibt es täglich einen Vorkoster, ergänzt Benno Kretzschmar. Ein Mitarbeiter probiert jeden Tag das Essen, bevor es an die Gefangenen geht. Und er notiert in einem Protokoll, ob eventuell die Suppe versalzen war.
Das sind allerdings nicht die einzigen Schreibarbeiten, mit denen die Mitarbeiter zu tun haben. Auf Station sind sie die ersten Ansprechpartner für Gefangene, die Besuchsanträge, Telefonanträge, Essensanfragen, mögliche Krankmeldungen loswerden wollen. "Wir füllen die Anträge der Gefangenen aus, die dann von anderen Stellen bearbeitet werden", sagt Frau Schuster, die früher als Angestellte in einem Büro tätig war.
"Immer im Büro zu sitzen, wäre mir zu langweilig", sagt die 29-Jährige. In ihrem neuen Job sei der Arbeitstag nicht so berechenbar. Die Gefangenen würden immer mit neuen Anliegen kommen. Und warum der ganze Papierkram? "Alles muss beantragt, beschieden, aktenkundig werden - damit es später in der Gefangenenakte nachweisbar ist", erklärt JVA-Sprecher Kretzschmar.
Dafür sei der Job hinter Gittern gut bezahlt. Und sicher. Und Berufsanfänger Lange, der als Soldat in Süddeutschland diente, wollte unbedingt in die Heimat zurück. "Zehn Jahre Pendelei sind genug!" Berufsangebote hätte er gleich mehrere gehabt. "Ich hätte auch zum Zoll gehen können oder Richtung Finanzamt", sagt Lange.
Den Ausschlag habe das Praktikum gegeben - wenn aber auch die Langfristigkeit, die Absicherung, und am Ende die Pension nicht zu vernachlässigen seien.
Zum Alltag der meisten JVA-Mitarbeiter gehört aber auch das Arbeiten in Schichten: Alle neuen Kollegen arbeiten zunächst mehrere Jahre "auf Station", wo Tag- und Nachtschichten dazugehören. Erst danach kann man sich auf spezialisierte Stellen bewerben - etwa als Diensthundeführer, Kammerbediensteter, in der Torwache, der Post, den Arbeitsbereichen.
"Ich mache den Stationsdienst gerne", sagt Frau Schuster. Die 29-Jährige kann sich noch keinen anderen Bereich vorstellen, wo sie lieber arbeiten würde. Kollege Lange hingegen könnte sich auch mit einer Tätigkeit als Küchenleiter anfreunden. "Dabei ist das ein sensibler Bereich", sagt Benno Kretzschmar, der jahrelang Sicherheitsbeauftragter der JVA Zeithain war. "Da kommen die Gefangenen an Messer - und die Küche ist ein Dreh- und Angelpunkt für viele Bereiche."

Apropos Sicherheit: Fast 400 inhaftierte Männer, keine Besuche, fühlt man sich da als junge Frau sicher? "Ja! Ich habe doch immer einen Kollegen bei mir", sagt die Berufsanfängerin. Und dann gibt es noch den Alarmknopf am Funkgerät - drückt man den, sind sofort drei, vier Kollegen zur Stelle. "Das ist anders als abends etwa im Supermarkt oder an der Tankstelle ", sagt Kretzschmar.
Dennoch hat sich Frau Schuster ihren Berufswunsch ganz sorgsam überlegt, "fast ein Jahr lang, klassisch mit Pro- und Kontra-Liste". Ein Problem habe es bis jetzt aber überhaupt noch nicht gegeben. "Wichtig ist, dass man den Gefangenen höflich und bestimmt gegenüber tritt. Und auf das Siezen besteht."
Duzen zwischen Mitarbeitern und Gefangenen gehe überhaupt nicht, sagt Kretzschmar: "Auf die professionelle Distanz kommt es an." Und Kollegin Schuster hat bereits die Erfahrung gemacht, dass man als Frau auf Männer oft deeskalierend wirkt. "Nicht auf alle, aber auf die meisten."
Erfahrungen sammeln die neuen Vollzugsbediensteten wochenweise auch in anderen Gefängnissen, die Theorie - mit Recht, Psychologie, Sozialarbeit - wird im Ausbildungszentrum Bobritzsch bei Freiberg gepaukt, dazu kommen Praktika außerhalb des Strafvollzugs - etwa in Jugendwohngruppen oder Kinderheimen. Und in den Maßregelvollzug Arnsdorf geht es demnächst auch noch.
Fertig werden die jetzigen Berufsanfänger voraussichtlich im August 2021 - dann sind sie, wenn alles klappt, Beamte auf Widerruf. Hin und wieder kommt es vor, dass während der Ausbildung jemand abspringt, sagt Kretzschmar. "Wichtig ist, dass die Leute mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Lustlos oder widerwillig zur Arbeit zu kommen, funktioniert bei uns nicht: Schließlich muss sich einer immer auf den anderen verlassen können."
Den Job hat man als Beamter zwar sicher. Aber was ist mit dem Standort JVA Zeithain, über dem seit Jahren der Schließungsbeschluss schwebt? Aktuell läuft der Betrieb der Einrichtung an der B 98 mindestens bis 2026 weiter. Nicht ausgeschlossen, dass er - je nach Bedarf - noch einmal verlängert wird. Im Sommer jedenfalls investiert der Freistaat in das einzige Gefängnis im Kreis Meißen.