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Ab in die Pilze!

Von wegen schon zu kalt und zu nass: Im Moment findet man wunderbare Spätherbstpilze. Stefan Schreier kennt sie.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Die Sinne müssen sich erst noch etwas an die bunten Blätter überall gewöhnen, das Knarren der hohen Bäume, die dicht an dicht stehen, die kalte Morgenluft im Oberauer Wald – da hat Stefan Schreier schon den ersten Fund gemacht: Inmitten von Herbstlaub und für den Laien auf den ersten Blick kaum zu sehen wächst ein Sternschuppiger Riesenschirmpilz, erkennbar an den braunen Schuppen auf weißem Hut, die an einen Stern erinnern. Die Hüte sind essbar, erklärt Schreier, die Stile kann man aufspalten, trocknen und Pulver daraus machen. In den Korb des Pilzkenners wandert er trotzdem nicht. So schnell, wie der 53-Jährige findet, so langsam sammelt er. Denn in seine Pfanne bzw. unter sein Mikroskop kommt nicht jeder Pilz.

Sporen kommen unters Mikroskop

Der Pilzspezialist aus dem Nachbarkreis Meißen arbeitet bei einem Agrargroßhandel in Großenhain, doch seine wahre Leidenschaft gilt den Pilzen, für die er sich schon seit Kindertagen interessiert. Er ist Mitglied in der Fachgruppe Mykologie beim Nabu in Dresden, macht Pilzausstellungen wie vor Kurzem beim Abfischen in Moritzburg, und arbeitet an einer Pilzkarte für den Freistaat mit. Das nötige Wissen dazu hat er sich über Jahrzehnte selbst angeeignet. Wenn er bei einem seiner Spaziergänge einen besonders interessanten Pilz entdeckt – und oft ist dieser nicht größer als einen Millimeter – dann sitzt er manchmal bis Mitternacht vor dem Mikroskop und schaut sich zum Beispiel dessen Sporen an. Mit Schreier durch den Wald zu gehen, wird deshalb zum Erlebnis.

Denn der 53-Jährige findet praktisch im Sekundentakt Pilze, die man wahrscheinlich alleine nie wahrgenommen hätte, geschweige denn kennt: Amiant-Körnchenschirmling, Krauser Adernzähling, Rosa Rettich-Helmling, der sogar leicht nach Rettich riecht. „Immer an den Lamellen riechen“, empfiehlt Schreier. Schnell hat man gelernt, Pilze mit allen Sinnen wahrzunehmen: Ist der Stil fest oder weich, wie verfärbt er sich, wenn man ihn anritzt, tritt eine Art Milch aus, wenn man die Lamellen beschädigt? Sogar kosten kann man, um zu sehen, ob der Pilz zum Beispiel bitter oder scharf schmeckt. „Denn giftig heißt ja noch nicht tödlich“, sagt Schreier. Nur vor dem Grünen Knollenblätterpilz muss man sich wirklich hüten, aber der kommt bei uns sehr selten vor. Schreier erzählt von einem Bekannten, ebenfalls Pilzkenner, dem es schon nach dem Riechen an diesem Giftpilz den ganzen Tag lang schlechtging.

Je länger man mit Schreier unterwegs ist, desto mehr beginnt man, seine eigenen Kenntnisse anzuzweifeln: Der Violette Rötelritterling und der Grasgrüne Täubling sollen wirklich essbar sein? Dabei hat man doch gelernt, sich vor solch farbenprächtigen Exemplaren zu hüten, die auch noch Lamellen haben statt Schwamm – und da, dort steht ja auch ein Fliegenpilz, das beste Beispiel, knallrot mit weißen Punkten, wie direkt aus dem Märchenbuch.

Querfeldein über Baum und Busch

Und wie im Märchen fühlt man sich auch bald, nicht nur, weil die Sonne so zauberhaft durch die Blätter fällt und es so viel zu entdecken gibt – Wildschweinspuren! – sondern auch, weil man sich meilenweit von der Zivilisation entfernt fühlt, während man mit Schreier querfeldein über Baum und Busch klettert.

„Das Schlimmste für mich sind aufgeräumte Wälder“, sagt Schreier an einem Hang mit verrottenden Birken. Hier können die Pilze ganze Arbeit leisten und die Nährstoffe aus dem Baum wieder in den Ökokreislauf bringen. Gäbe es die Pilze nicht, wir würden im Biomüll ersticken, ist er sich sicher. Und irgendwann fangen Schreiers Erklärungen und skurrile Geschichten über Pilze an, ihre Spuren zu hinterlassen. Plötzlich erkennt man Butterrüblinge an ihrer leicht fettig glänzenden Oberfläche von ganz allein, bemerkt auch die vielen Hallimasch, die gerade überall wachsen, und bricht auch mal einen Birkenporling ab, um zu fühlen, ob er wirklich so hart ist, dass Schreier ihn mit dem Messer schneiden muss. Nicht nur die Berührungsangst ist auf einmal weg, sondern vor allem die Erkenntnis da: Pilze sind einfach überall! Auf dem Waldboden, an den Bäumen, sogar auf Blättern und abgefallenen Nadeln. Wenn Schreier ein vielversprechendes Zweigchen entdeckt, nimmt er es wortwörtlich genau unter die Lupe: Was aussieht wie eine Trillerpfeife um seinen Hals, ist ein kleines Vergrößerungsglas, das der Pilzfan immer bei sich hat.

Ernte ohne Messer

Auch in die mitgebrachte Plastikschachtel mit Trennfächern wandern jetzt erste kleine Pilze, darunter der Fleischrote Gallertbecher, der wirklich aussieht wie das Fleisch eines Tieres – für später, unter das Mikroskop. In ein kleines Buch trägt Schreier die Pilze ein, die er auf seinen Wanderungen findet, damit sie einmal im Pilzatlas verzeichnet werden können.

Was auffällt beim gemeinsamen Gang durch den Wald: Schreier hat zwar ein Messer dabei, dreht die Pilze aber meist ganz aus der Erde. Sollte man sie nicht eigentlich abschneiden? So machen das zumindest andere Sammler, wie an den geraden Kanten vieler zurückgelassener Stile erkennbar ist.

Was im Boden zurückbleibt, verrottet eh, erklärt Schreier. Der Pilz, beziehungsweise der Fruchtkörper, also das, was wir als Pilz bezeichnen, wächst an der Stelle nicht nach. Will man den Fund später von einem Pilzberater bestimmen lassen, ist es sogar unerlässlich, ihn ganz auszugraben. Nur so kann der Berater mit Sicherheit sagen, dass es sich um Stockschwämmchen handelt und nicht etwa um Gift-Häublinge.

Selbst die Prüfung zum Pilzberater abzulegen, davor scheut sich Stefan Schreier noch etwas, obwohl er gerne auch die offizielle Bestätigung für sein Wissen bekommen würde. Die Abmachung mit seiner Frau, die sich auch immer besser mit den Pilzen auskennt, lautet so: Wenn du deinen Berater machst, mache ich das auch.

Auch nach zwei Stunden Wanderung und schon auf dem Rückweg zu seinem Auto ist Schreier kaum von den Pilzen loszureißen, geht noch einmal ein Stück in den Wald, zu einer ganz bestimmten Stelle. Doch der große Steinpilz, den er sich am Tag zuvor für das Abendessen ausgeguckt und gemerkt hat, ist nun wie vom Waldbogen verschluckt.

Auf Anfrage gibt Stefan Schreier auch Pilz-Führungen für Gruppen. [email protected]