Von Madeleine Siegl-Mickisch
Alfred Müller ist seiner alten Wirkungsstätte mal aufs Dach gestiegen. Der Schornstein ist schon lange weg, aber das Heizhaus steht noch, obwohl längst nicht mehr mit Kohle geheizt wird. Von hier oben hat man einen guten Überblick über das neun Fußballfelder große Gelände zwischen Wilthener und Preuschwitzer Straße. Viele Bautzener kennen es, weil sie hier arbeiten, andere gehen hier ins Sportstudio oder mal essen ins Hotel Residence. Und mittlerweile fahren täglich viele auf der Westtangente daran vorbei. Der Gewerbepark macht seinem Namen alle Ehre. Viele Bäume, Sträucher und Rabatten erinnern tatsächlich an einen Park.

Vor 25 Jahren sah es hier anders aus. Tristes Grau überwog bei den Gebäuden. Und Grün? Fehlanzeige. Aber in den Hallen, Werkstätten und Büros arbeiteten 450 Menschen. Auf dem Gelände wurden Einzelteile für die damals allseits bekannten Robur-Fahrzeuge hergestellt. Schon in den 1920er-Jahren war an der Wilthener Straße ein Chemiebetrieb entstanden. In der DDR gehörte das Gelände dann wie ein weiterer Standort an der Humboldtstraße, auf dem heute das Technologie- und Gründerzentrum ansässig ist, zu den Robur-Werken Zittau. Die Lastwagen aus den Robur-Werken wurden vor allem in die sozialistischen Länder exportiert. „Das brach mit der Währungsunion schlagartig weg“, schildert Alfred Müller, der damals Werkleiter war, die für die Beschäftigten negative Auswirkung der D-Mark-Einführung. Die Abnehmer im Osten konnten sich die Fahrzeuge nicht mehr leisten. Nicht einmal mehr Ersatzteile waren gefragt. „Es gab zwar ernsthafte Versuche, das Fahrzeug weiterzuentwickeln und mit einem neuen Motor auszustatten“, erinnert sich Müller. Aber ohne Erfolg. Dann schickte die Treuhand Investoren. „MAN, Iveco, Mercedes und wie sie alle heißen. Hier sind viele namhafte Nutzfahrzeughersteller aus dem Westen durchgegangen.“ Doch keiner hatte Interesse an dem Werk mit der veralteten Technik. Die Robur-Werker wollten trotzdem nicht aufgeben. Mit über 80 Fahrzeugbaubetrieben im Westen wurde Kontakt aufgenommen, zum Teil hat Müller sie selbst besucht. Aber auch das war vergeblich. So wurde 1991 die Produktion eingestellt, am 1. September 1992 war die Liquidation besiegelt. Allein an den beiden Bautzener Standorten hatten damit fast 1 000 Menschen ihre Arbeit verloren. Eine bittere Zeit, sagt Alfred Müller, der schon bei Robur gelernt hatte und später 20 Jahre Werkleiter war.
Trotz der eigentlich ausweglosen Lage wollte er den Kopf nicht in den Sand stecken. „Wir haben überlegt, was wir aus dem, was wir haben, machen können.“ Über den westdeutschen Verband der Automobilindustrie kam er in Kontakt mit Utz Eisenrigler. Der Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen hatte zusammen mit einem Geschäftspartner gerade ein Unternehmen in Köln zentralisiert und ein dadurch freigewordenes Werk in Wuppertal in einen Gewerbehof umgewandelt. Etwas ähnliches sollte nun auch in Bautzen mit dem Standort Wilthener Straße passieren.
Es begann ein steiniger Weg. „Es gab einige kleinere Firmen, die sich hier ansiedeln wollten“, erinnert sich Müller. „Wir wollten ihnen von Anfang an ein schönes Umfeld bieten“, beschreibt er die Idee. Doch dazu gehörte viel Mut, Fantasie – und Durchhaltevermögen. Denn erst einmal waren 120 Arbeitskräfte zwei Jahre lang damit beschäftigt, Altlasten zu beseitigen. Die stammten nicht nur aus Robur-Zeiten, sondern zum Teil noch vom Vorgängerbetrieb. Allein für die Grundwassersanierung mussten auf dem Gelände zehn Brunnen gebohrt werden. Aus den Hallen wurde Asbeststaub abgesaugt. Dafür flossen viele Millionen D-Mark, auch aus Förderprogrammen. Aber bereits vor dem Ende der Altlastensanierung zogen 1993 die ersten Mieter ein. Gerade für Existenzgründer waren Flächen damals rar. Mit dem Gewerbepark wurde von Anfang an die Idee verfolgt, dass sich kleine und mittelständische Firmen ansiedeln können, ohne dass sie zuerst in eigene Immobilien investieren müssen. Und dank der Erfahrung und den Kontakten von Eisenrigler und dem langsam entstehenden Netzwerk im Gewerbepark bekamen sie dazu noch Beratung in vielen Fragen rund um die Existenzgründung.
„Für mich war das ein Umdenken, weg vom Großbetrieb hin zu vielen kleinen“, blickt Alfred Müller zurück. Bis heute fährt der 76-Jährige gern mal über das Gelände, das er wie seine Westentasche kennt und das sich doch so gewandelt hat. Schritt für Schritt wurden in den 1990er-Jahren die Gebäude in Ordnung gebracht und entsprechend der Mieterwünsche hergerichtet. Etwa 60 Prozent blieben stehen, der Rest wurde abgerissen. So entstand Platz für Stellflächen – und für viel Grün. Um die Jahrtausendwende gab es dann eine zweite Bauphase. Auf freien Flächen wurden Neubauten errichtet, die größten für die IT-Firma Itelligence und das Vodafone-Callcenter. Heute gibt es auf dem Areal etwa 1 200 Arbeits- und Ausbildungsplätze. „Auch 200 wären schon ein Riesenerfolg gewesen“, sagt Alfred Müller mit Blick auf die scheinbar hoffnungslose Situation von 1992.
Wie viel Mut damals nötig war, um die Sache anzupacken, sei ihm erst viel später bewusst geworden, sagt Ralf Eisenrigler. Er führt als Geschäftsführer der Gewerbepark GmbH heute das von seinem Vater Begonnene fort. Die vielen Hürden zu überwinden sei wohl auch nur möglich gewesen wegen der besonderen Aufbruchstimmung, die damals herrschte. Bis heute halten viele Mieter der ersten Stunde wie das Sportstudio, das Hotel oder die Theaterwerkstätten dem Gewerbepark die Treue. „Wir haben wenig Fluktuation.“ Manchmal zieht ein Mieter weg, weil er keinen Platz mehr hat, um sich zu erweitern. Denn nahezu alle Flächen sind belegt.