Von Katja Schäfer
Sein Vorgänger ist schuld. Schuld daran, dass Heino Groß reichlich 33 Jahre lang als Pfarrer an derselben Stelle tätig war, obwohl in dem Beruf Ortswechsel aller zehn, zwölf Jahre üblich sind. „Er hat zu mir gesagt, ich müsse mindestens 30 Jahre lang in Cunewalde bleiben, damit ich durchschaue, wer mit wem wie verwandt ist“, erinnert sich Heino Groß, der Ende dieses Monats in den Ruhestand geht. Und schmunzelnd gibt er zu, dass es wirklich sehr lange gedauert hat, bis er über die Verwandtschaftsverhältnisse in dem großen Dorf so richtig gut Bescheid wusste. „Und danach hat sich ein Wechsel auch nicht mehr gelohnt“, sagt der 63-Jährige lachend, um sofort ernst anzufügen, dass er auch deshalb so lange geblieben ist, weil die Cunewalder Kirchgemeinde eine ideale sei. „Man kann hier viel tun, und es gibt einen großen Kreis von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die das alles unterstützen. Die Arbeit ist sehr vielfältig; auch deshalb, weil die größte evangelische Dorfkirche Deutschlands touristisch und kulturell eine wichtige Stellung einnimmt.“ – Zum Glauben kam Heino Groß, der aus dem erzgebirgischen Aue stammt, erst in seiner Jugend durch Freunde. „Aber dann wusste ich beizeiten, dass ich Pfarrer werden will“, erinnert er sich. Dennoch absolvierte Groß zunächst eine Ausbildung als Koch. Parallel dazu lernte er an der Abendschule fürs Abitur, um studieren zu können. Nachdem Heino Groß in Leipzig den Abschluss als Diplom-Theologe gemacht hatte, trat er seine erste Stelle an; als zweiter Pfarrer in Großpostwitz. In diesem Ort war seine Frau damals als Lehrerin tätig. Jetzt geht sie mit ihrem Mann zusammen in Rente. Vier Kinder haben die beiden. „Unsere Jüngste ist in meine Spuren getreten; in Baden-Württemberg“, erzählt der scheidende Cunewalder Pfarrer, der seit über 15 Jahren auch als Seelsorger für Gehörlose tätig ist und einmal im Monat in Bautzen Gottesdienste in Gebärdensprache hält.
Mehr Zeit für die insgesamt neun Enkel zu haben, ist einer der Wünsche, die Heino Groß für den Ruhestand hat. Außerdem hofft er, öfter als bisher zum Lesen und Musikhören zu kommen und wieder Muße zum Kochen zu haben. Am liebsten ist es ihm, wenn dann viele Leute am Tisch sitzen. Nicht ganz so sein Ding ist die Gartenarbeit. Dennoch wird Heino Groß in Zukunft oft mit Rasenmäher und Spaten hantieren. Schließlich gehört zum Elternhaus seiner Frau, in das das Ehepaar jetzt nach Wehrsdorf zieht, ein großer Garten. „Ich werde auch gern Vertretung für andere Pfarrer machen“, blickt der angehende Pensionär in die Zukunft und betont zugleich: „Aber vorerst nicht in Cunewalde! Hier werde ich mich die nächsten drei Jahre sehr zurückhalten.“ Das hält er für wichtig und richtig, damit der neue Pfarrer unbefangen seinen Dienst tun kann, ohne sich beobachtet oder gar bevormundet zu fühlen. Allerdings gibt es noch gar keinen Nachfolger. Deshalb übernimmt ab 1. Juli der Großpostwitzer Pfarrer Christoph Kästner die Vertretung. Die Stelle ist zum zweiten Mal ausgeschrieben, und bisher hat sich noch niemand gemeldet.
Heino Groß bedauert das und kann es auch nicht so richtig verstehen. Immerhin ist die Cunewalder Kirche mit ihren 2 632 Sitzplätzen etwas Besonderes. Als er im September 1980 von Großpostwitz nach Cunewalde wechselte, wusste er nur, dass dort die größte Dorfkirche der DDR steht. „Nach der Wende haben wir uns dann auch im Westen umgehört; mit der Hoffnung, vielleicht unter die ersten zehn zu kommen“, erzählt Heino Groß. Doch es stellte sich heraus: Kein deutsches Dorf hat eine Kirche mit mehr Sitzplätzen aufzuweisen. „So haben wir den Titel „Größte Dorfkirche Deutschlands“ für uns in Anspruch genommen, und es hat niemand widersprochen“, sagt der Pfarrer. Dieser Rekord und der Fakt, dass die Cunewalder Kirche eine Station der touristischen Route Via Sacra ist, locken viele Gäste an. „Als ich hier anfing, haben pro Jahr etwa 50 Touristen an die Tür geklopft. Jetzt sind es über 4 000“, berichtet Heino Groß. – Doch an diesem Morgen ist es ganz still in dem großen Kirchenschiff. Der Pfarrer nutzt das, um sich in aller Ruhe umzusehen – und langsam Abschied zu nehmen.