SZ +
Merken

Ach, du liebe Zeit!

Uhrmacher Georg Jost braucht nicht nur technisches Wissen. Fingerspitzengefühl ist sein wichtigstes Kapital für die Arbeit.

Teilen
Folgen

Von Ulrike Kirsten

Georg Jost hat alle Zeit der Welt. Sie hängt an der Wand, liegt auf der Werkbank, verstaut in Schränken. Vor seinem Geschäft in der Bautzner Straße 58 hetzt der Alltag vorbei. Im Laden des Uhrmachers dagegen ist die Zeit irgendwie stehen geblieben. Schnelligkeit ist in Josts Beruf nicht allgegenwärtig. Manche Dinge, wie Uhren zu reparieren, benötigen einfach Zeit. Die nimmt sich der 27-Jährige gern.

Vor allem antike, mechanische Uhren haben es Georg Jost angetan. Solche wie die Beobachtungsuhr der Manufaktur Lange & Söhne aus dem Zweiten Weltkrieg, die ein Kunde zur Reparatur vorbeigebracht hat. Die sogenannte B-Uhr diente in erster Linie der Bestimmung des jeweiligen Standortes. Entwickelt wurde sie für den militärischen Bereich, in der Hauptsache für die Marine, aber auch für Luftwaffe und Heer. „Die Krone war kaputt, das Rädchen, mit dem man die Uhr aufzieht“, sagt Georg Jost. Ein erster prüfender Blick, dann bearbeitet er die Rarität mit dem Okular. Es ist eines der wichtigsten Hilfsmittel des Uhrmachers. 20 000 Euro ist die Rarität von 1945 heute wert, schätzt Georg Jost. „Eine Uhr ist inzwischen mehr als ein Zeitmesser. Eine Uhr ist auch eine Geldanlage.“

Dabei hat der Uhrmacher aus Kriebstein schon weit teurere Exemplare unter der Lupe gehabt. Manche so wertvoll wie eine Luxuskarosse. Denn sein Handwerk hat Georg Jost in Glashütte gelernt, einer Hochburg der Uhrmacherkunst. Dort hat er bis vor wenigen Wochen gearbeitet. Erst im Juli hat Georg Jost das Traditionsgeschäft in der Bautzner Straße von Uhrmachermeister Joachim Reimer übernommen. „Das war ein wohlüberlegter Schritt.“ Das Geschäft sei immer gut gelaufen. Josts Lehrmeister hatte Reimer den Jungspund aus Kriebstein empfohlen, als der einen Nachfolger suchte. Der Uhrmacher-Kreis sei ein ziemlich kleiner, verschworener Haufen, da kenne jeder jeden, sagt Georg Jost. „Und Herr Reimer ist deutschlandweit bekannt. Sammler aus Hamburg, Köln und München haben ihm Uhren zur Reparatur geschickt. Davon profitiere ich nun auch.“

Uhrmacher mit eigener Werkstatt sind indes selten geworden. „Die meisten Geschäfte schicken Uhren zum Hersteller ein, sind aber oft nicht günstiger.“ Über mangelnde Arbeit kann sich Jost dennoch nicht beklagen. Ob Armband- oder Wanduhr, wer sein Schmuckstück zu dem Neustädter zur Reparatur bringt, muss mit fünf bis sechs Wochen Wartezeit rechnen. Je nach Uhrengröße und Komplexität des Schadens benötigt der junge Familienvater zwei bis drei Tage für eine Uhr.

Neben den Reparaturen verdient Jost sein Geld mit der Aufarbeitung klassischer Uhren, wie der französischen Wanduhr aus dem Jugendstil mit Westminsterschlag. Oder der Mutteruhr, die an Schulen und Finanzämtern alle Nebenuhren steuerte und so absicherte, dass die Zeitmesser in allen Büros und Räumen die gleiche Zeit haben. „Ich kaufe alte, defekte Uhren günstig auf, um sie anschließend zu restaurieren.“

Dabei müsste Georg Jost noch nicht einmal auf Ersatzteile zurückgreifen, die in Holzkästen nach Marken und Bauteilen geordnet sind. „Ich könnte jedes Teil selbst herstellen. Das war Teil der Ausbildung gewesen.“ Doch das lässt die Zeit heute oft nicht mehr zu. Die Faszination für Uhren hat er vom Vater mitbekommen. „Als Jungs haben wir seine Uhrenmagazine gelesen. Er liebt Uhren, obwohl er Kraftfahrer ist.“ Auch Josts Bruder ist Uhrmacher.

Zwar hat das Handwerk Nachwuchssorgen, nicht aber Probleme, Uhren an die Kunden zu bringen. „Gerade junge Leute tragen wieder Uhren, wie die Taschenuhr vom Großvater. Die halten ewig, ein Handy nur ein paar Jahre“, sagt Georg Jost. Er will die Zeit weiter für sich arbeiten lassen. „Ich weiß noch lange nicht alles über Uhren. Man lernt vieles erst bei der Arbeit. Es gibt Hunderte Modelle, manche sind schon gar nicht mehr auf dem Markt. Nicht jede Uhr tickt eben wie die andere.“