Herr Nitzsche – vor der Wahl haben Sie gesagt, notfalls würden Sie für Ihre Wähler und Überzeugungen auch mal „Dreck fressen“. Wo haben Sie denn letztes Jahr Dreck gefressen?
Im Kongo. Denn ich habe, anders als das Gros unserer Fraktion, gegen den Bundeswehreinsatz dort gestimmt. Wie schon zuvor gegen den Bundeswehreinsatz im Nahen Osten. Und das werde ich auch tun, wenn es um deutsche Soldaten vor der Küste des Libanon geht.
Sie haben auch gesagt, Ihnen ist die Arbeit im Wahlkreis wichtiger als die in Berlin. Wie steht’s damit?
Ich halte regelmäßig Bürgersprechstunden und versuche, wo ich nur kann, zu moderieren und hinter den Kulissen zu helfen. Beispielsweise für die Sanierung des Gesindehauses in Lohsa habe ich gemeinsam mit Bürgermeister Udo Witschas bei Innenminister Albrecht Buttolo durchgekämpft, dass es übers Brachenprogramm 1,2 Millionen Euro Fördermittel gegeben hat, obwohl das anfangs gar nicht so rosig aussah. Ich habe Sachsens Wirtschaftsminister Thomas Jurk das Versprechen abgerungen, dass die LMBV jetzt, auf einmal und solange noch Geld da ist, alle Überleiter fürs Lausitzer Seenland planen und bauen darf. Wenn da auch nur ein einziger ausfiele, wäre die durchgängige Schiffbarkeit des Seenlandes und damit das Alleinstellungsmerkmal beim Teufel – eine Katastrophe!
Wie funktioniert denn solcherlei Überzeugungsarbeit?
Wissen Sie, ich habe es geschafft, dass mancher in mancher Amtsstube froh ist, wenn ich nicht da bin. Weil er weiß: Wenn Nitzsche da ist, gibt’s Arbeit und klare Worte. Das darf man einem Beamten auch deutlich machen: Hinter mir stehen 60 000 Wähler; das ist die Kraft, die der Wahlkreis mir gibt – und wer steht hinter Ihnen? Eine Ernennungsurkunde? Das kann’s dann wohl doch nicht sein!
So macht man sich keine Freunde.
Genau! Aber Konrad Adenauers Wort erweist sich immer noch als gültig: „Machen Sie sich erst mal unbeliebt – dann werden Sie auch ernst genommen.“ Und nur wer ernst genommen wird, kann auch etwas bewegen.
Sie sind gerne Querdenker. Sind Sie auch ein Querkopf?
Nein, das bin ich nicht. Wenn ich im Bundestag anders stimme als meine Fraktion, dann nicht aus Prinzip, sondern aus Gewissen und in Verantwortung den Wählern gegenüber. Das hat auch mit der eben schon genannten Kraft zu tun. Da kann ich eben nicht für Bundeswehreinsätze im Ausland sein. Nicht für eine Mehrwertsteuererhöhung. Nicht für ein „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“, das alte Rechtstraditionen aushebelt, in zentrale Freiheitsrechte eingreift und stattdessen neue Rechtsunsicherheiten und mehr Bürokratie schafft. Und ich kann nicht für die jetzt geltenden Hartz-IV-Regelungen sein, die Unsozialität produzieren helfen.
Das klingt anders, als man es üblicherweise von einem kernfesten Konservativen erwarten würde...
Finden Sie? Ich habe, gerade im letzten Jahr, mehr als je zuvor festgestellt, dass die Nöte und Sorgen der Menschen das zentrale Thema sind, um das man sich kümmern muss; nicht um den parlamentarischen Eigenbetrieb. Ihnen Mut zusprechen, ihnen sagen: Wir tun etwas! Auch wenn selbst kleine Erfolge sich nur langsam einstellen – aber es ist wie bei Galileo Galilei: „Und sie bewegt sich doch...“ Bei Hartz IV muss und wird nachgebessert werden. Klar, solche Worte fallen schwer, wenn man mit Langzeit-Arbeitslosen spricht, weil ihnen schon so oft alles Mögliche versprochen wurde. Aber dann kommt Glaubhaftigkeit eben nur durch ernsthafte Unterstützung zustande.
Wie soll die aussehen?
Sehen Sie, gerade heute war ich beim Arbeitslosenselbsthilfeverband Kamenz. Dort waren sie ziemlich niedergeschlagen, weil dort zurzeit nicht viel läuft. Sie haben mich um Mitarbeit gebeten – und dem werde ich mich nicht verschließen.
Im September 2005 fragte ich, was Sie am Tag nach der Wahl tun würden. Sie sagten: „Plakate abnehmen, eine Woche Waldarbeit zur Entspannung, Kanzlerin wählen“.
Die guten Vorsätze Nummer 1 und 3 sind hundertpro erfüllt; die Waldarbeit hat ein halbes Jahr warten müssen – und dann hab’ ich mir dabei ins Bein gesägt. Das war mir eine Lehre: Wer das Erfüllen von Versprechen auf die lange Bank schiebt, wird dafür bestraft. Das soll mir nicht mehr passieren.
Gespräch: Uwe Jordan