Ärger über die Schotterpisten

Riesa. Wolfgang Morgenstern erinnert sich noch, wie er und sein Bruder als Kinder an der Friedrich-Turra-Straße spielten. „Wenn es geregnet hatte, dann sammelte sich das Wasser in der Rinne am Feldrand“, erzählt der 77-Jährige und winkt dann ab. „Diese Furche kennt man ja heute gar nicht mehr.“ Stattdessen gleicht die Straße nach einem Regenguss teils einer Kraterlandschaft, sagen Morgenstern und seine Nachbarn. Bei Trockenheit hingegen staubt es gehörig. Das sei besonders ärgerlich, weil sie aufgrund ihrer Breite auch von Nichtanwohnern rege genutzt werde, um innerhalb des Wohngebiets von A nach B zu kommen. „Ursprünglich war die Straße mal deutlich schmaler“, erzählt Morgenstern. Erst im Zuge von Kanalarbeiten habe sich der Weg ein gutes Stück verbreitert. Das lädt Autofahrer auch dazu ein, schneller als die eigentlich erlaubten 30 Kilometer in der Stunde zu fahren.
Die Turra-Straße gehört zu jenen Straßenzügen im Riesaer Stadtgebiet, die noch nicht grundhaft ausgebaut sind. Nachdem die SZ kürzlich die Ganziger als „Riesas staubigste Straße“ betitelte, legten gleich mehrere Leser Einspruch ein – nicht ganz zu Unrecht. Neben der Ganziger und der Turra-Straße warten etwa auch die Kurt-Fischer- und die Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße in Poppitz noch auf den grundhaften Ausbau. „Zu Ostzeiten hat sich die LPG noch darum gekümmert“, erzählt der Poppitzer René Sallat. Da sei die Oberfläche zwar nicht asphaltiert gewesen, aber zumindest fest. Heute verfülle die Stadt zwar die Löcher. „Aber das Material wird nach dem ersten heftigen Regen wieder rausgespült.“

Für die Anwohner der betroffenen Straßen ist das eine Belastung. „Die Wäsche kann man eigentlich gleich im Keller aufhängen“, sagt Wolfgang Morgenstern. Ihn ärgert auch, dass er 2002 für Tiefbauarbeiten zur Kasse gebeten worden sei – und dann trotzdem keine solide Deckschicht kam. Gegen den grundhaften Ausbau mit Kostenbeteiligung der Anlieger habe er sich auch deshalb gewehrt.
Mittlerweile sieht das anders aus, denn eine Anwohnerbeteiligung ist nach einem Stadtratsbeschluss ab kommendem Jahr vom Tisch. „Nachdem die Straßenbaubeitragssatzung aufgehoben wurde, stehen nun viele Anwohner Schlange“, sagt Christian Thielemann. Der Stadtrat wohnt auch an der Turra-Straße. „Ich habe das Thema auch schon einige Male in den Ausschusssitzungen angesprochen.“ Er wisse, dass der Ausbau nicht von heute auf morgen gehen wird. Aber wenigstens ein Kostenvoranschlag müsse doch auch jetzt schon möglich sein. „Wir beschließen demnächst den nächsten Doppelhaushalt“, deutet Thielemann an, der für die CDU im Stadtrat sitzt. Er hoffe darauf, dass sich dort auch die Friedrich-Turra-Straße wiederfindet.
Im jüngsten Bauausschuss allerdings machte man ihm zunächst wenig Hoffnung. Bauamtsleiterin Ina Nicolai verwies auf die Prioritätenliste, die der Stadtrat im Frühjahr beschlossen hatte. Während die Dr.-Kurt-Fischer-Straße und die Ganziger Straße dort zumindest mittelfristig auftauchen, gebe es für die Turra-Straße derzeit kein Projekt, sondern lediglich Schätzungen. Bleibt es dabei, stünde das Geld für die Planung erst nach 2023 bereit.
Altlasten der 90er-Jahre?
Nach Ansicht der Anwohner müsse es nicht einmal unbedingt ein grundhafter Ausbau sein. Eine solidere Befestigung würde ihnen schon reichen – gerne auch schmaler, als das jetzt der Fall ist. Dem widersprach Bauamtsleiterin Ina Nicolai im Ausschuss. „Es ist nicht nur eine Decke, es ginge um einen grundhaften Ausbau.“ Würde dort etwas gemacht werden, dann müsste die Stadt auch einen entsprechenden Unterbau schaffen. Was wiederum die Kosten nach oben treiben würde. – Dass Riesa in seinem Stadtgebiet überhaupt noch derart viele Schotterpisten zählt, führt Christian Thielemann auf die Prioritäten zurück, die in den 90er--Jahren gesetzt wurden. Unter Oberbürgermeister Köhler sei eben anderes für wichtiger befunden worden, etwa die Arena und das Image als Sportstadt. So sei die Infrastruktur stellenweise auf der Strecke geblieben. Man könne das Geld eben nicht zweimal ausgeben. An der Theorie könnte etwas dran sein, wie ein Anruf im Gröditzer Rathaus ergibt. Die zweitgrößte Stadt des Altkreises arbeitet derzeit an zwei Straßen, die grundhaft ausgebaut werden sollen, sagt Bürgermeister Jochen Reinicke. Fälle wie in Riesa fallen Reinicke in seiner Stadt aber nicht ein, sagt er. Wolfgang Morgenstern wird das herzlich egal sein. Er frage sich nur, ob er den Ausbau der Straße noch erleben wird, sagt der 77-Jährige.