AfD-Mann wird Lehrer an Riesaer Gymnasium

Riesa. Eigentlich sollte es nur eine Personalie werden, wie es sie im Schulalltag unzählige Male gibt: Weil am Städtischen Gymnasium in Riesa dringend ein Lehrer für die Fächer Geschichte sowie Gesellschaft, Rechtserziehung und Wirtschaft gebraucht wird, hat Schulleiterin Silke Zscheile beim Landesamt für Schule und Bildung um Unterstützung gebeten.
Die Behörde nahm sich dem Problem an und hat mit dem Dresdner Gordon Engler auch prompt einen Lehrer nach Riesa abgeordnet. Doch was bis hierhin reichlich unspektakulär klingt, sorgt nun kurz vor Beginn des zweiten Schulhalbjahres für eine hitzige Debatte. Denn nicht alle sind mit der Personalie einverstanden.
Etwa Erik Christopher Richter. Für den hiesigen Kreisvorsitzenden der Partei Die Linke ist Gordon Engler ein Name, bei dem „überall die Alarmglocken schrillen“ sollten. In einem Schreiben mit dem Titel „Schwappt ‚Die Welle’ jetzt nach Riesa?“ wirft Richter die Frage auf, wie geeignet der neue Lehrer „für den Job als Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer an der Oberstufe“ sei.
NS-Zeit ein "Vogelschiss"?
Richters Zweifel betreffen vor allem Gordon Englers politisches Engagement. Der 33-Jährige saß von 2014 bis 2019 für die AfD im Dresdner Stadtrat, ab Ende 2017 als Fraktionschef. Zudem ist Engler seit Jahren in der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, aktiv. Darüber hinaus war er mehrere Jahre Mitglied der Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia. Zu deren Umfeld gehörten in der Vergangenheit unter anderem Personen wie Alexander Kleber, Anmelder mehrerer Nazidemos zum 13. Februar in Dresden, und Holger Szymanski, einst sächsischer Landesvorsitzender der NPD. Nachdem Engler bei der Cheruscia unehrenhaft ausgeschlossen wurde, ist er mittlerweile beim Dresdner Ableger der Burschenschaft Arminia zu Leipzig aktiv.
Für Erik Christopher Richter ist klar: „Die politische Ausrichtung der Burschenschaft sollte sich aus der Nähe zu gewissen rechten Einrichtungen und Organisationen erschließen lassen.“ Mit Blick auf den neuen Lehrer am Städtischen Gymnasium in Riesa warnt der Linken-Kreisvorsitzende deshalb: „Unsere Schülerinnen und Schüler verdienen einen Geschichtsunterricht, der nicht die NS-Zeit als ‚Vogelschiss‘ bezeichnet. Sie verdienen einen Gemeinschaftskundeunterricht, der nicht für die Auflösung der EU wirbt, wie es die Junge Alternative fordert.“

Der Betroffene selbst kann die Vorwürfe indes nicht nachvollziehen. „Ich bin meines Erachtens keine Person des öffentlichen Lebens, so dass meine berufliche Situation und meine Vereinsmitgliedschaften meine Privatsache sind“, erklärt Gordon Engler auf Anfrage der Sächsischen Zeitung. „Dies gilt um so mehr, da ich keine Ämter und Funktionen innerhalb der AfD ausübe und lediglich ein kleines kommunalpolitisches Mandat im Ehrenamt in Dresden ausübe.“ Damit meint Engler sein Engagement als Stadtbezirksbeirat.
Auch den Vorwurf, er würde den Nationalsozialismus verharmlosen, weist Engler zurück. „Ich habe bereits in der Vergangenheit Äußerungen wie die der ‚Vogelschissformulierung‘ kritisiert und entschieden abgelehnt. Mich daher in diesen Kontext zu setzen ist unanständig und unangemessen“, so Gordon Engler.
Gegen Personenkult
Für den Lehrer ist es nicht das erste Mal, dass er sich Vorwürfen aus dem politisch linken Spektrum ausgesetzt sieht. Im Internet taucht der Name Gordon Engler auf zahlreichen linken Plattformen auf, meist im Zusammenhang mit der Burschenschaft Cheruscia und deren Aktivitäten. Ein Großteil der Beiträge beschäftigt sich anhand verschiedener Fallbeispiele mit der Nähe deutscher Burschenschafter zur AfD. Gordon Engler, einst Sprecher des Dachverbandes „Deutscher Burschenschaften“, ist eines dieser Fallbeispiele. Auch das Magazin Der Spiegel berichtete in diesem Zusammenhang schon über Engler.
Bei der Cheruscia hält man sich, zumindest was politische Aussagen angeht, nach außen hin bedeckt. Über die Aktivitäten der Burschenschaft ist wenig bekannt. Häufig kursieren nur die Titel verschiedener Veranstaltungen, nicht selten sind diese prominent besetzt. So widmete sich beispielsweise im Mai 2011 der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt (CDU) in den Räumen der Cheruscia der Frage: „Wie viel Platz ist zwischen CDU und NPD?“
Den tiefsten Einblick in Gordon Englers politische Vorstellungen liefert ein Video der Seite afdberichte.de, das eine Rede Englers beim AfD-Landesparteitag im Januar 2017 in Klipphausen zeigt. Dort spricht sich Engler gegen die seiner Meinung nach teils zu scharfe Rhetorik verschiedener Parteimitglieder aus. Diese würde dafür sorgen, dass die AfD in die rechte Ecke gedrängt werde. Zudem mahnt Engler, der eigenen Angaben nach keinem Lager innerhalb der Partei angehört, mehr Zusammenhalt an und warnt vor Personenkult, „wie er in teilweise exzessiven Formen um Björn Höcke betrieben wird.“
"Rechts ist ein legitimer politischer Standpunkt"
In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung Anfang 2018 äußerte sich Engler ähnlich. Er sei ein Konservativer, aber nicht rechtsradikal, so Engler. „Rechts ist ein Kampfbegriff, dabei ist es ein legitimer politischer Standpunkt – genau wie links.“ Aber die AfD sei nicht die NPD. Was Engler zu dem Schluss führt: „Die Angst vor der AfD kann ich nicht nachvollziehen.“
Auf dem Video zum Parteitag in Klipphausen skizziert Gordon Engler auch seine ganz persönliche Vision der Bundesrepublik in 50 Jahren. „Es soll ein Deutschland sein, welches voller Stolz auf seine Geschichte und seine Nation blickt. Es soll ein Deutschland sein, welches die wahnsinnigen Ausformungen der sogenannten Willkommenskultur, der Entfremdung unserer Heimat, der Verdrängung unserer deutschen Identität, gerade noch rechtzeitig gestoppt und umgekehrt hat.“ In diesem Zusammenhang warnt er: „Die Deutschen dürfen nicht zur kulturellen Minderheit in unserem eigenen Land werden.“ Gordon Engler erntet von seinen Parteikollegen tosenden Applaus.
Immer wieder tritt Engler aber auch betont sachlich auf. Als er auf dem Parteitag gefragt wird, wie viel Prozent Migranten Deutschland vertrage, „um den Erhalt unserer Ethnie zu gewährleisten“, entgegnet Engler, dass man das nicht allein in Prozent beantworten könne. Vielmehr sei es eine Frage der Integration. „Umso mehr es werden, desto schwieriger wird es. Das ist klar“, so Engler. „Wenn wir aber sagen, wir können gar keine Anwanderung vertragen, vor allem keine qualifizierte Einwanderung, dann machen wir einen Fehler.“ Der Applaus fällt dieses Mal nur mäßig aus.
Wird ein Lehrer überprüft?
Bezüglich seines Unterrichts stellt Engler auf Anfrage der SZ klar: Es „gilt der Beutelsbacher Konsens als Leitlinie für die Gestaltung von Unterricht mit politischen Inhalten, weshalb die Mutmaßungen des Linken-Kreisvorsitzenden Richter nicht gerechtfertigt sind.“ Der Konsens legt drei Prinzipien für den Politikunterricht fest: Lehrende dürfen Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen, müssen kontroverse Themen in ihrer Vielfalt darstellen und sollen die Schüler in die Lage versetzen, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren.
Für Erik Christopher Richter ist Englers neuer Job am Städtischen Gymnasium aber problematisch. „Mir ist bewusst, dass die Einstellung der Lehrer beim Land Sachsen und nicht bei der Kommune liegt. Aber wird dort nicht deren Background geprüft?“, fragt der Linken-Kreisvorsitzende in seinem Schreiben. „Kann ein Mitglied der Partei, die die Nazizeit verharmlost, Rassismus und Faschismus offen lebt, ein vernünftiger Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer sein?“
Auf Anfrage der Sächsischen Zeitung teilt das Landesamt für Schule und Bildung mit, dass grundsätzlich bei jedem Lehrer polizeiliches Führungszeugnis und Lebenslauf geprüft würden. Zu weiteren Fragen könne man aus Gründen des Datenschutzes keine Auskunft geben. Zur Personalsituation heißt es knapp: „Am Städtischen Gymnasium Riesa besteht für das Fach Gemeinschaftskunde aktuell Lehrerbedarf.“ Und genau den soll Gordon Engler jetzt stillen. (mit SZ/stl)
*In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Gordon Engler sei Mitglied der Burschenschaft Cheruscia. Wie ein Sprecher der Burschenschaft mittlerweile mitteilte, wurde Engler aber bereits 2015 "unehrenhaft ausgeschlossen".
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