Von Thomas Schade
Esther Carlitz aus Tallwitz bei Leipzig wird ihrer Odyssee durch den kongolesischen Dschungel nie vergessen. „Ich denke fast jeden Tag daran, an Menschen, die mich enttäuschten, aber voller Dankbarkeit auch an alle, die mich gerettet haben“, sagt sie.
Die Studentin war im Mai 2008 ausgezogen, um als Praktikantin in der Feldstation Lui Kotale der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) im Salonga-Nationalpark die Fressgewohnheiten wildlebender Bonobos zu studieren. Bei einem Ausflug in den Dschungel trennte sie sich von ihrem Begleiter, verlief sich und blieb zwölf Tage verschollen.
Über die Kosten der Suchaktion in Höhe von 66121 Euro stritten die MPG und Esther Carlitz am 30.Juli vor dem Landgericht Konstanz. Die dritte Zivilkammer war – ohne Abschluss der Beweisaufnahme – der Auffassung, dass beide Seiten Schuld am Zustandekommen der dramatischen Situation trugen. Sie regte einen Vergleich an. Die MPG sollte 51000 Euro, Esther Carlitz 15000 Euro der Rettungskosten bezahlen. Mit dieser Aufteilung sollten auch alle Schmerzensgeldansprüche der jungen Frau geregelt sein. Gestern verkündete Gerichtssprecher David Eisele, die Max-Planck-Gesellschaft und Esther Carlitz hätten eben diesem Vergleich zugestimmt.
Einvernehmlich getrennt
Damit endet das vorerst letzte Kapitel des Dschungelabernteuers der nun 25-Jährigen, die inzwischen ihr Diplom als Biologin geschafft hat. Ihre Diplomarbeit schrieb sie im Naturkundemuseum Görlitz zum Thema „Das Paarungsverhalten der Nacktschnecken“.
Nach dem Vergleich sprich die junge Frau nun auch selbst über ihr Abenteuer im Urwald, „auch um Darstellungen der MPG entgegenzutreten“, wie sie sagt. So habe sie nicht der Hunger zurück ins Camp getrieben. „Wir waren am Morgen aufgebrochen und wollten zum Mittag zurück sein“, berichtet sie. „Dann trafen wir auf die Affengruppe, die andere Forscher bereits suchten. Mein Begleiter sah es als seine Pflicht an, den Tieren zu folgen und ihre Route mit dem GPS zu dokumentieren.“
Er habe den Plan umgestellt, und sie seien den Affen quer durch den Dschungel „immer im Laufschritt“ gefolgt. Nach einigen Stunden habe sie festgestellt, dass sie das bis zum Abend nicht durchhalten könne, sagt Esther Carlitz. „Wir waren auf so eine Tour überhaupt nicht vorbereitet und hatten nur ein paar Kekse dabei.“ Einvernehmlich hätten sie sich dann getrennt. „Laut GPS waren wir in der Nähe eines Weges, und mein Begleiter schickte mich in eine bestimmt Richtung. Doch der Weg war nicht gewartet und dermaßen zugewuchert, dass ich ihn nicht finden konnte“, so Esther Carlitz. Sie suchte einen Weg zum nächsten Fluss und wartete, aber keiner suchte dort nach ihr.
Ohne ihren starken Glauben hätte sie das Ganze sicher nicht überlebt, sagt die Pfarrerstochter. Sie schildert ihre Situation im Dschungel: „Ich hatte ja nicht wirklich Ahnung über das, was der Urwald zu bieten hat. Ich kannte die Pflanzen nicht. Ich habe nichts gegessen, weil ich keine Vergiftung riskieren wollte. Es blieb nur Wasser aus Bächen und Rinnsalen und die letzten beiden Tage nicht einmal das.“ Hunger, Durst und nicht zu wissen, ob man jemals zurückkommt, ob der Kompass funktioniert. Das sei ein „furchtbares Gefühl“ gewesen – „Tage völliger Isolation und absoluter Überlebenskampf.“ Sie sagt heute: „Allein hätte ich wohl keinen weiteren Tag überlebt.“
Als sie plötzlich auf eine Gruppe Wilderer traf, sei sie körperlich total am Ende gewesen und habe nicht gewusste, was die Männer mit ihr vorhatten. „Es war unklar, ob ich heil aus der Situation herauskommen würde.“
Bei ihrer Rückkehr ins Camp, sagt sie, schienen alle einfach nur froh zu sein, dass ich am Leben war. Merkwürdig gewesen sei nur, dass sie lange nicht mit ihrer Familie sprechen durfte und dass sie plötzlich englische Sicherheitsanweisungen und ein Schreiben unterzeichnen sollte. Aber in so einer Situation mache man alles, was verlangt wird. „Da unterschreibt man sogar, dass man kerngesund ist, auch wenn man Malaria hat.“
Es müssen nicht Bonobos sein
Die Geldforderung durch die MPG hat sie als ungerechtfertigt empfunden. „Sie hätte mich in die Privatinsolvenz getrieben“, sagt Esther Carlitz. Sie glaubt, die Max-Planck-Gesellschaft habe einem Neuling die Schuld zuschieben wollen, obwohl nicht einmal ihr Begleiter die Situation vorort richtig eingeschätzt habe.
Ihre Leidenschaft für die Affen, treibt die Biologin nach wie vor um. Einen Doktorvater für ihre Promotion habe sie inzwischen gefunden, nun sucht sie nach einer Finanzierung. Auch Feldforschung will sie wieder betreiben.
Dass dies im Camp Lui Kotale und bei der Max-Planck-Gesellschaft geschieht, kann sich MPG-Sprecherin Christina Beck nicht vorstellen. Es gebe viele andere Möglichkeiten, sagt Esther Carlitz. „Es müssen ja nicht die Bonobos sein.“