Von Maik Schwert
Wie man gegen den VC Dresden gewinnt, weiß Sylvia Roll. Jetzt bringt sie dem ehemaligen Gegner das Siegen bei. In der vergangenen Saison führte sie den Volleyball-Zweitligisten SV Gellersen Lüneburg im Pokal-Achtelfinale als Trainerin zum Heimerfolg über den Erstligisten – eine Sensation. Gestern überraschten die Dresdner. Sie präsentierten die gebürtige Schwerinerin als ihre neue Trainerin.

Am Abend leitete die 40-Jährige bereits die ersten Einheiten mit möglichen Neuzugängen. „Das ist Probetraining. Da will ich schon sehen, was die Jungs draufhaben und wie sie ticken“, sagt sie. Roll sucht Spieler, die als Mannschaft funktionieren. Sie ist die erste Frau und auch der erste Coach überhaupt, der das beim VCD hauptamtlich macht. Die Klubverantwortlichen gehen damit den nächsten Schritt. Sie wissen, dass dauerhafter Erfolg professionellere Strukturen benötigt. Der Vertrag beginnt am 1. August und endet nach der Saison – mit beiderseitiger Option auf eine weitere Spielzeit.
Roll war „unsere Wunschkandidatin“, sagt Sven Dörendahl, bisher Trainer und künftig als Sportdirektor an ihrer Seite. Der 39-Jährige baggerte schon 2012 an Roll. „Bei einem Vorbereitungsturnier mit Dresden und Lüneburg sagte Sven zu mir, wie toll es doch sei, dass ich in Lüneburg hauptamtlich als Trainerin bei einem Männerverein arbeite. Er fragte, ob wir es nicht auch irgendwann mal gemeinsam probieren wollen“, sagt sie. Roll dachte erst, dass Dörendahl ihr bestenfalls einen Arbeitsplatz als Assistenzcoach anbieten würde. „Als dann vom Job als Cheftrainer die Rede war, da setzt man sich doch erst mal hin. Ich freue mich riesig auf die neue Aufgabe. Hoffentlich kann ich die Erwartungen erfüllen. Auf alle Fälle möchte ich die gute Arbeit von Sven fortsetzen. Ich bin froh, dass er mich dabei unterstützt. Für mich ist das ein weiterer kleiner Schritt in meiner Karriere als Trainerin.“
Dörendahl gibt das Kompliment zurück: „Sylvia hat so eine ellenlange praktische Erfahrung. Das lässt sich durch keine Ausbildung ersetzen.“ Da taucht sie wieder auf: Roll, die langjährige Nationalspielerin mit ihren 250 Einsätzen für Deutschland, die mehrfach an Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften teilnahm. Roll, die Ikone vom Schweriner SC, den sie viermal zur Meisterschaft und dreimal zum Pokalerfolg führte. Roll, die Weltenbummlerin, die in Brasilien, Italien und der Türkei ihr Geld verdiente.
„Die Spielerin gibt’s nicht mehr“, sagt Roll in ihrem norddeutschen Dialekt. Alle Auszeichnungen, Medaillen und Urkunden liegen im Elternhaus in Wittenförden bei Schwerin. Die Spielerin Roll verschwand im März 2010 vom Parkett. Eigentlich wollte sie noch bis 2012 für den Schweriner SC antreten. Doch bei einem Spiel in Potsdam riss ihr der wichtigste Schultermuskel. Die Operation gelang, die Rehabilitation nicht – das abrupte Ende der Laufbahn als Spielerin. „Ich brauchte ziemlich lange, um darüber hinwegzukommen.“ Freunde halfen Roll durch diese harte Phase. Die schwere Verletzung brachte sie zum Umdenken. Roll definierte sich neu – als Trainerin statt Spielerin. Anderthalb Jahre zahlte die Berufsgenossenschaft. Sie machte die B-Lizenz. Anschließend begann die Suche nach einem Posten. Doch als Trainerin hatte eben auch Roll keinen Namen in der Volleyballszene. Es hagelte Absagen. Frust und Selbstzweifel machten sich breit – noch mal eine schwierige Zeit.
Danach kam Lüneburg mit dem Stellenangebot. Roll spielte in ihrer Karriere bei großen Trainern wie Tore Aleksandersen und Stefan Mau beim Schweriner SC, von denen sie sich etwas abschaute. Aleksandersen brachte ihr bei, dass alle Spielerinnen wichtig sind – nicht nur die erste Sechs. Von Mau lernte sie, dass die richtige Ansprache Berge versetzen kann. „So arbeite ich auch“, sagt Roll. Ihr gelang nicht alles sofort. Die erste Ansprache in Lüneburg ging daneben. „Mehr als einige ,Ähs‘ brachte ich da nicht raus. Dann übergab ich das Wort an meinen Co-Trainer. In Dresden bin ich garantiert nicht mehr so aufgeregt.“
Die Klubverantwortlichen erhoffen sich von ihrer Verpflichtung auch „ein größeres Sponsoren- und Zuschauerinteresse“, erklärt Geschäftsführer Matthias Broda. Denn eine Frau als Coach im Männersport – das bleibt die große Ausnahme. Darüber redet sie nicht besonders gern, wiegelt lieber ab: „Es ist nicht so schwer, als Frau ein Männerteam zu trainieren. Ich bin aber vielleicht auch keine typische Frau, dafür auf alle Fälle ein offener Typ.“
Und so wünscht Roll sich, dass wie in Lüneburg, als der Zweitligist im Pokal-Viertelfinale gegen Unterhaching spielte, bald auch in Dresden alle über sportliche Erfolge sprechen – und nicht darüber, dass beim VC eine Frau auf der Bank sitzt.