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Alles sonnig im Knast?

(Ex-)Häftlinge der JVA Zeithain erzählen aus ihrem Alltag. Heute ein Obdachloser, der sich im Gefängnis ganz wohl fühlte – und schon bald wieder einfährt.

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Von Antje Steglich

Sein Leben ist aus den Fugen geraten, als Gerhard Bayer im Januar 2012 in Zeithain ankommt. Die Arbeit gerade verloren, und liebe Menschen zu Grabe getragen – das ist zu viel für ihn. Der 42-Jährige wird zum gesellschaftlichen Außenseiter und schließlich zum Straftäter. Mit dem Auto des Ex-Arbeitgebers macht er eine Spritztour, baut einen Unfall und wird wegen schweren Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Doch er nutzt die Chance nicht. Stattdessen verstößt er gegen die Auflagen und muss tatsächlich ins Gefängnis. Zuerst nach Zwickau.

„Dort war alles so eng und klein“, erinnert sich Gerhard Bayer ungern an die erste Haftwoche zurück. „Wenn ich das zweite Bett nicht gesehen hätte, hätte ich nie vermutet, dass das eine Zweimannzelle sein soll.“ Auch der Freiganghof war nur „geringfügig größer als ein Zimmer“, so Bayer. Als er dann nach Zeithain verlegt werden soll, weiß er zwar nicht, was ihn hier erwartet, „viel schlimmer konnte es allerdings nicht werden.“ Und für den Ersttäter aus dem Leipziger Raum wurde es sogar bedeutend besser.

In Zeithain ist alles viel größer und scheinbar heller, sagt Gerhard Bayer über das Gefängnis inmitten des Industriegebietes. Er kommt ins Haus A, in die untere Etage, in eine Dreimann-Zelle. „Ich hatte Glück, zu jemanden in die Zelle zu kommen, der schon einen Fernseher hatte“, so kommt selten Langeweile auf. Dazu gibt es viele Freizeitaktivitäten. Der Billardtisch steht auf der Etage, und beim täglichen Hofgang steht Fußball an. „Wenn man sich beschäftigen will, gibt es dort genug“, so Bayer. Kurse vom Nähen über Kunst bis zur Fotografie werden angeboten. In der JVA werden fünf Kunsttherapeuten beschäftigt, dazu gibt es Angebote unter anderem vom ehemaligen Verein für Straffälligenhilfe Klinke. „Das hat mich aber nicht so interessiert. Zum Sport bin ich abends aber schon mal gegangen“, sagt Bayer. Die restliche Zeit kann er sich weitestgehend frei auf dem Gang bewegen: „Das ist total locker, wenn man nicht aneckt.“ Und das versucht Gerhard Bayer tunlichst zu vermeiden. Er scheint die geregelten Abläufe sogar zu genießen.

Jeden Tag, 6 Uhr wird er von den Beamten geweckt. Kurz vor sieben rücken dann einige Häftlinge – etwa 60 Prozent der aktuell etwa 360 Gefangenen – zur Arbeit aus. Bayer gehört jedoch nicht dazu und muss bis gegen 9 Uhr in der Zelle bleiben. Dann sind die Stationen bis nach 12 Uhr offen. Es gibt Mittag und „so schlimm war das Essen auch gar nicht. Man hatte nie Hunger“, erinnert sich der 42-Jährige, der später oft wehmütig an eine warme Mahlzeit denken wird. Über Mittag bis etwa 15 Uhr sind die Zellen in Zeithain wieder zu. Manche lesen dann auf ihrem Bett, viele aber schauen fern. Dann rücken die Arbeiter wieder ein, Briefe an die Gefangenen werden verteilt. Für Gerhard Bayer ist jedoch nie einer dabei. Schließlich hat er keinen mehr, wie er sagt. Um vier geht es dann für eine Stunde auf den Hof, bevor es später Abendbrot gibt und die Zellentüren gegen 21 Uhr, am Wochenende zum Teil auch schon 18 Uhr, wieder ins Schloss fallen. Nachtruhe in „Zeithain-Beach“, wie die Anstalt unter den Gefangenen genannt wird.

„Ich kann mich nicht beschweren, weder über die Beamten, noch die Gefangenen. Ich habe eben keinen blöd angemacht, und man hat mich in Ruhe gelassen“, so Bayer. Die meisten waren sogar richtig nett. Nur die ganze Antragstellerei und das enorme Regelwerk haben manchmal genervt, die regelmäßigen Kontrollen auf Handys und Drogen fand Gerhard Bayer dagegen in Ordnung.

Etwas orientierungslos ist er deshalb, als er im Frühjahr entlassen wird. Mit nur wenigen Euro landet er in Riesa. Hilfe im Gefängnis, um sein Leben nach dem Knast neu zu sortieren, hat er nach eigenen Aussagen aus falschem Stolz heraus abgelehnt. Die bisherige Wohnung ist längst gekündigt, der Kontakt zu Verwandten und Freunden abgebrochen. Gerhard Bayer wird in der für ihn fremden Stadt nicht nur obdachlos, sondern wenig später erneut zum Straftäter. Wahrscheinlich fährt er in wenigen Monaten erneut ein.

Was sagen andere Gefangene und der Vorsitzende des Anstaltsbeirates über den Haftalltag in Zeithain? Lesen Sie dazu mehr in den kommenden Tagen.