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Als die Post noch Rohre hatte

Geschichte. Vor 90 Jahren öffnete das Postamt an der Bahnhofstraße. Vor zehn Jahren schloss es.

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Von Ralph Schermann

Es war der letzte große Postbau, der in Görlitz in Betrieb ging. Am 15. Mai 1915 erschienen Bezirksoberpostdirektor Padberg aus Liegnitz und Postbaurat Winckler aus Dresden, um auf der Bahnhofstraße einen sehenswerten Neubau einzuweihen. „Aus Görlitz selbst haben außer dem dienstfreien Postpersonal lediglich solche Herren teilgenommen, die zu dem Bau dieses Posthauses in näherer Beziehung standen“, entschuldigten die „Görlitzer Nachrichten und Anzeiger“ den nur kleinen Kreis der Zeremonie.

Dass größere Euphorie ausblieb, hatte einen Grund: Die Inbetriebnahme erfolgte mitten im Ersten Weltkrieg. Und so versammelten sich nach den Reden auch nur knapp vierzig Betuchte, um im Hotel „Prinz Friedrich Karl“ das Ereignis ausklingen zu lassen. „Am 16. des Monats werden die betreffenden Dienststellen nach dem Bahnhof umziehen“, erfuhr man damals, und: „Am 17. früh wird der gemeine Betrieb im neuen Hause eröffnet“.

Kutschen und reitende Boten

In die Chronik eingegangen ist das Haus als Bahnpostamt. Das Postwesen selbst freilich ist älter als die Geschichte der Eisenbahn. Für Görlitz belegt ist, dass bereits 1794 täglich mehrere Postkutschen in verschiedenen Richtungen die Stadt verließen. Auch die schnelle Post über berittene Boten hatte schon feste Tourenpläne. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts residierte die Post im Eckgebäude Neiß-/Weberstraße. Bis 1837 bezogen die Postbeamten dann Räume auf dem Obermarkt, um danach auf die Peterstraße 11 zu ziehen. Am 1. Oktober 1853 wiederum vollzog sich der Umzug auf den Postplatz. Alles keine Orte, um auch die Post an den Eisenbahnschienen zu erschließen. Daher richteten die Eisenbahner schon 1847 bis 1850 probeweise eine Postzweigstelle im Empfangsgebäude ein. Weitere Testphasen damit gab es 1859 sowie von 1963 bis 1866. Nach dem ersten Bahnhofsumbau wurde eine Bahnpostanstalt 1869 eröffnet, die ab 1876 als selbstständiges kaiserliches Postamt eingestuft wurde und die Bezeichnung „Görlitz 3“ erhielt.

Die Einwohnerzahl von Görlitz verdoppelte sich, die Postsendungen stiegen gewaltig. Auf dem großen Bahngelände entstand für 29 000 Mark ein neuer Postbau, der mit einem Tunnel zu den Gleisen verbunden wurde. Schließlich reichte auch das nicht mehr aus, etwas ordentlich Großes analog des 1853 eingeweihten Postplatz-Ensembles musste her. Die Deutsche Post erwarb für 232 000 Mark Grund und Boden von der Bahn und begann 1913 mit dem Bau des neuen Hauses als dem neuen Bahnhof angepasstes Ensemble. Rund 428 000 Mark kostet das die Post, und zur Einweihung am 15. Mai 1915 bekam das neue Haus die offizielle Bezeichnung „Hauptpostamt 1“. Neben dem Namen „Bahnpost“ war es bis zum Ende der DDR unter diesem Namen geläufig. Da waren die alten Symbole freilich schon lange verschwunden. Eiserne Kreuze und Reichsadler sind seit 1945 weg, geblieben bis heute dagegen sind die schönen schmiedeeisernen Symbole der Postgeschichte, die der Görlitzer Schlossermeister Kalle für die Fenstergitter zur Bahnhofstraße fertigte.

Schalter, Klappen und Zellen

Der Postkunde kannte meist nur die nicht allzu große Schalterhalle. In späterer DDR-Zeit war auch das Foyer interessant. Hier befanden sich neben mehreren Telefonzellen viele Selbstbedienungselemente von Briefmarken- bis Einschreibeautomaten und der Päckchen-Klappe. Für die Paketpost galt ein anderer Eingang auf der rechten Gebäudeseite. Überhaupt war der größte Raum hinter den Kulissen der Frachtpost vorbehalten. Betriebe lieferten direkt im Hof an. Geräumige Packkammern mündeten dann im großen Posttunnel zu allen Bahnsteigen, wo es von Anfang an fünf Aufzüge gab. Im ersten Stock befanden sich neben Verwaltungsbereichen die Postanweisungsverrechnung, die Geldbriefträgerstation, zu DDR-Zeiten der Postzeitungsvertrieb, und vor allem der Briefträgersaal. Von hier aus starteten die Zusteller. Das tun sie als fast einzig übrig geblieben Funktion des sonst leer stehenden Komplexes auch heute noch.

Geschosse und Kundenmangel

Den modernsten Stand technischer Entwicklungen gab es übrigens 1915 auch schon: Rohrpost. Eine solche Verbindung bestand zwischen den Postämtern am Bahnhof und am Postplatz. Die Druckluftgeschosse enthielten allerlei postinterne Mitteilungen, aber auch Telegramme, für deren Weiterleitung das am Postplatz mit ansässige Telegrafenamt zuständig war. Noch heute liegen die Messingrohre unter der Jakobstraße, sind aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr betriebsfähig.

Betriebsfähig ist auch das Postamt als solches längst nicht mehr. „Auf Grund des starken Nachfragerückgangs an den Schaltern“, so formulierte es damals die Postpressestelle Dresden, wurde „die Postfiliale am Bahnhof am 30. Dezember 1995 für immer geschlossen“.