Von Christoph Pohl
Nicht VW-Teile wie heute, aber Wäsche, Gemüsekisten und Briefe wurden schon mal mit der Straßenbahn transportiert. So brachten ab 1901 „Wäschewagen”, die Wäsche Dresdner Bürgerfamilien zur Reinigung zum Weißen Hirsch und nach Bühlau. Dann gab es den „Postwagen“. Er befuhr die Strecke Niedersedlitz–Lockwitz–Kreischa, wurde 1908 in den Dienst gestellt. Ab da zog die Straßenbahn einen speziellen Wagen, in den an jeder Haltestelle Briefe eingeworfen werden konnten. Der Wagen diente als Ersatz für die vor der Eröffnung der Straßenbahnlinie verkehrende Postkutsche. Zunächst präsentierte er sich in gelber Farbe, 1934 wurde er für die Beförderung der Reichspost rot lackiert, später bekam er dann allerdings wieder einen gelben Anstrich.
Vom Waggonbau Ammendorf gebaut, war der „Postwagen“ sogar bis 1960 im Einsatz. Danach züchtete ein Anwohner Hühner in ihm. Bis ein Dresdner, Reinhard Wobst, das Fahrzeugwrack 1990 entdeckte, kaufte und in mühevoller Arbeit wieder zum Postwagen aufbaute. 2011 erwarb der Verein Straßenbahnmuseum Dresden e.V. den Wagen und restaurierte ihn nach historischem Vorbild.
Ab dieser Saison ist der gelbe Wagen im Straßenbahnmuseum auf der Trachenberger Straße zu sehen. Er präsentiert sich dort so, wie er an der schmalspurigen Lockwitztalbahn einst durch die Straßen fuhr. Die etwa neun Kilometer lange Lockwitztalbahn von Niedersedlitz nach Kreischa war übrigens nicht die einzige schmalspurige Strecke des Dresdner Netzes. Doch nur sie blieb erhalten. Andere Vorortstrecken wie die von Mickten nach Zitzschewig waren ab 1924 auf die Spurweite der Dresdner Straßenbahn (1 450 mm) umgespurt worden, um durchgängige Verbindungen zu erhalten.
Tatra – eine amerikanische Lizenz
Nicht 100 Jahre, aber immerhin 50 Jahre Geschichte schrieb ein anderer Dresdner Straßenbahnwagen: der Großraumzug aus dem Waggonbau Gotha, der 1962/63 in Dienst gestellt wurde. Auch er ist im Straßenbahnmuseum zu besichtigen und kommt bei besonderen Anlässen auch noch zum Einsatz. Bis 1964 wuchs der Dresdner Bestand an Fahrzeugen aus Gotha auf 19 Trieb- und Beiwagen. Mit den Gothaer Fahrzeugen hätten damals nicht nur die Dresdner Verkehrsbetriebe ihren größtenteils überalterten Fahrzeugpark weiter erneuern können. Aber die Regierung der DDR hatte es anders beschlossen: Im Rahmen einer RGW-Vereinbarung sollten Straßenbahnen nur noch aus der CSSR bezogen werden. So verschwanden diese formschönen und modernen Fahrzeuge in den Jahren 1968 bis 1970 allmählich wieder aus dem Dresdner Stadtbild.
Sehr interessant ist ein Vergleich der vierachsigen Gothaer Fahrzeuge mit den seit 1968 in großem Umfang aus Prag eingeführten Tatra-Wagen. Größtenteils unbekannt ist, dass die tschechischen Tatra- Straßenbahnen auf einer amerikanischen Lizenz beruhen und auf den sogenannten PCC-Wagen zurückgehen. PCC bedeutet „President Conference Comittee“ – für die Präsidentenkonferenz der US-Verkehrsbetriebe wurde in den 1930er-Jahren als Antwort auf den wachsenden Individualverkehr ein Einheitsstraßenbahnwagen entworfen. Von diesem Modell wurden rund 5 000 Fahrzeuge gebaut, alles vierachsige Einrichtungs-Triebwagen. Sie zeichneten sich durch hohe Anfahrbeschleunigung und Reisegeschwindigkeit sowie einen
aerodynamisch geformten Wagenkörper aus. In Europa bauten auch Fiat und belgische Firmen PCC- Bahnen in Lizenz.
In puncto Fahrkomfort waren die Gothaer Wagen aber eindeutig überlegen. Ältere Dresdner werden sich noch an die bequemen kunststoffbezogenen Sitze erinnern. Außerdem hörten sie beim Fahren nur die Rollgeräusche der Räder und beim Beschleunigen die Fahrmotoren. Anders in den Tatra-Bahnen. Die Schalensitze werden höchstens unter Souvenirjägern Freunde haben, und zu hören war ständig das Geräusch der Lüfter. Beschwerden von Anwohnern führten sogar dazu, dass diese an den Endhaltestellen beim Warten der Bahnen auf die nächste Abfahrt ausgeschaltet werden mussten.
Inzwischen sind auch die Tatrabahnen Geschichte und stehen im Museum. Seit 1992 werden vom Verein Straßenbahnmuseum Dresden e.V., der mit seinen Schätzen seit 1996 im alten Straßenbahnhof Trachenberge untergebracht ist, die verschiedenen Zeugen von Straßenbahnentwicklung aufgearbeitet und gepflegt. Die Dresdner Straßenbahn hat inzwischen eine über 140-jährige Geschichte. 1872 verkehrte die erste Pferdebahn, 1893 die erste elektrische. Mit dem „Hechtwagen“ wurde in den 1930er-Jahren die Entwicklung zum modernen Straßenbahnwagen eingeleitet.
Frühjahrseröffnungstag im Dresdner Straßenbahnmuseum. 20. und 21. April, jeweils 10 bis 17 Uhr,
Trachenberger Straße 38, Eintritt: Erwachsenen 2 Euro, Kinder bis 14 Jahre 1,50 Euro