Von Sebastian Kränzle
Einst pilgerten viele Wanderer zum Wolfshügel im Albertpark. Auch heute noch zeigt ein Wegweiser kurz nach dem Fischhaus den gut einen Kilometer langen Weg zur Anhöhe an. Doch je näher die Spaziergänger an den Wolfshügel kommen, desto schmaler wird der Pfad. „Früher war hier sogar noch ein befestigter Weg“, erzählt Rudolf Ehrig.

Als Schulkind sammelte der 1923 geborene Rudolf mit seiner Mutter in der Heide Heidelbeeren und Pilze, mit Freunden fuhr er im Winter Ski. Auch wenn vielen Dresdnern die Anhöhe noch ein Begriff ist, kennen nur wenige den Turm, der hier in den 1930er-Jahren stand. Damals war er ein beliebtes Ausflugsziel für Familien und Jugendgruppen.
Vor ein paar Wochen war der 91-Jährige noch einmal aufgebrochen, um nach 80 Jahren den Ort seiner Kindheitserinnerungen wieder zu besuchen. „Beim Aufräumen habe ich im Schrank ein altes Foto vom Aussichtsturm auf dem Wolfshügel gefunden“, erzählt Ehrig. „Mein Vater hat es bei einem Sonntagsausflug geschossen.“ Mit der vergilbten Abbildung in der Hand machte sich der Altstädter kurzerhand auf den Weg in die Heide. „Ich wollte nachsehen, wie es dort oben heute aussieht“, sagt Ehrig. „Aber es war mir nicht vergönnt.“ Obwohl der hochbetagte Rentner seinen Alltag allein meistert, war der lange Aufstieg mit Rollator zu beschwerlich und das Gestrüpp am Wegesrand zu dicht.
Der Wolfshügel wurde nach den dort für die Jagd gehaltenen Raubtieren benannt. Erst 1912 ließ der berühmte Dresdner Baurat Hans Erlwein auf der 211 Meter hohen Erhebung einen Turm errichten. In ihn waren zwölf steinerne Säulen eingearbeitet. Über eine Wendeltreppe erreichten die Wanderer dann eine Aussichtsplattform, die weitere 25 Meter höher lag. „Von dort hatten wir als Kinder einen wundervollen Blick über Dresden“, erzählt Ehrig.
Wiederaufbau des Turms zu teuer
Der Ausflug lohnte sich sogar im Winter. „Aber der Wind dort oben war sehr kalt, wir waren dick eingemummt“, erinnert er sich. Aus den Fenstern mit Spitzbögen konnten die Besucher schon beim Aufstieg ins Freie schauen. „Wir haben sogar die Schiffe auf der Elbe fahren sehen“, sagt der gelernte Werkzeugmacher.
Das waren schöne Tage in der Dresdner Heide. Doch dann kam der Krieg. Als Ehrig aus englischer Gefangenschaft zurückkam, stand der Turm nicht mehr – 1945 war der strategisch wichtige Punkt von der Wehrmacht gesprengt worden. Heute steht vom Aussichtsturm auf dem Wolfshügel nur noch das steinerne Fundament. Vom alten Glanz des in den 1930ern beliebten Ausflugsziels sind nur noch ein paar Säulen übrig. Diese waren bei der Explosion in sich zusammengefallen, jetzt ruhen die mit Moos überzogenen Pfeiler im Trümmerloch des Fundaments. Ein paar zerbrochene Bierflaschen liegen in der Grube, und buntes Plastik schimmert zwischen den Resten aus Stahlbeton.
Über einen Wiederaufbau wird seit Jahren diskutiert – doch passiert ist bis jetzt nichts. Schon in den 90ern hatte der damalige FDP-Jungstar Holger Zastrow den Bau eines neuen Turms vorgeschlagen, die Idee aber nicht weiterverfolgt. Laut Ursula Lahode von der Stadtverwaltung ist auch heute nicht geplant, den Aussichtsturm wieder zu errichten – das Geld dafür fehlt. „Das ist schade. Ich bin mir sicher, dass der Wolfshügel auch heutzutage wieder viele Leute anziehen würde“, sagt Rudolf Ehrig.
Doch allein mit dem Wiederaufbau wäre es nicht getan. Auch die Bäume auf der Anhöhe müssten gestutzt werden, um eine freie Sicht auf Dresden zu garantieren. Doch am wichtigsten ist ein neuer Aussichtsturm. Wie dieser aussehen könnte, davon hat der 91-Jährige schon ganz genaue Vorstellungen. „Wie damals soll er werden. Warum sollte er auch anders gebaut werden, er war toll“, sagt der Rentner.