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Als Kind beim Russland-Feldzug 1812 dabei

Das Tagebuch einer 1897 verstorbenen Zittauerin offenbart die Schrecken des Krieges zu Napoleons Zeiten.

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Auch Kinder zogen einst bei Napoleon mit in den Krieg. Diese heute gewiss Kopfschütteln auslösende Tatsache ist Tagebuchaufzeichnungen zu verdanken, die die am 19.April 1897 im Alter von 89Jahren in Zittau verstorbene Johanne Christiane Hofmann, geborene Richter, hinterlassen hat. Hier Auszüge aus ihren Notizen:

Ich wurde am 20.September 1808 in Görlitz geboren. Mein Vater war Soldat der Königlich-Sächsischen Infanterie. Es kam die Zeit des Krieges, die alle Gemüter erregte. Der Vater musste auch mit nach Russland, die Mutter mit uns zwei Kindern verließ ihn nicht. Bei Moskau wurde das Regiment gefangen genommen, der Vater in das Innere Russlands transportiert. Dadurch war die Mutter genötigt, mit uns Kindern zu Fuß die Rückreise anzutreten. Wir waren aller Mittel entblößt. Ich musste viel laufen.

In einem polnischen Ort kehrten wir erholungsbedürftig ein. Zwei ebenfalls im Wirtshaus sich befindende Männer erboten sich, mich ein Stück mitzunehmen, für meine Mutter und Schwester war jedoch kein Platz auf dem Wagen. Als wir ins Freie kamen, hieben die Männer in die Pferde, und meine Mutter war allein mit meiner Schwester. Ich sah meine Mutter die Hände ringen, und ich fing an zu schreien, so viel ich konnte.

Der eine hatte noch Gefühl und veranlasste den anderen zum Halten. Sie fragten hierbei meine Mutter, ob sie mich nicht für 150Dukaten geben wolle, ich solle es sehr gut haben. Meine Mutter war damit nicht einverstanden, und so haben wir die Reise bis nach Dresden drei Monate in kümmerlicher Weise ausgehalten. Wie wir in Dresden ankamen, waren Not und Elend überall, und die Franzosen fielen vor Hunger um. Wir wohnten in einem Dachkämmerchen, hier erreichte uns ein böses Fieber. Meine Schwester bekam durch starkes Erfrieren die Wassersucht, an der sie starb. Da wir keinen Sarg kaufen konnten, wurde meine Schwester in einer Kiste in sitzender Stellung zur Ruhe gebracht. Ich kann mich noch erinnern, wie der Totengräber sagte: „Wenn ein großes Begräbnis sein wird, werfen wir die Schachtel mit hinein“.

Nun war ich gezwungen, das Notdürftigste zum Lebensunterhalt zu erbetteln, da meine Mutter nichts verdienen konnte. Nach langer Zeit kam der liebe Vater aus der Gefangenschaft zurück, angetan mit einem alten russischen Mantel, die Füße mit Lumpen umhüllt. Er musste sich melden, und in kurzer Zeit riss ihn der Krieg wiederum von unserer Seite.

Es dauerte lange Zeit, ehe er nach der Völkerschlacht zurückkehrte. Nun wurde er nach Waldheim kommandiert und bald darauf mit einer Pension von 48Talern nach einer Dienstzeit von 22Jahren entlassen. In Waldheim war kein Verbleiben, er wollte in seine Heimat zurück. Die wenigen Habseligkeiten wurden auf einen Karren verladen. Wie Zigeuner kamen wir in Hirschfelde an. Weil mein Vater von dort gebürtig, erhielten wir auch Quartier. Vater betrieb sodann die Handweberei. 1824 wurde ich in Hirschfelde konfirmiert. Der Vater kaufte später ein Haus in Gießmannsdorf, und ich verheiratete mich nach Radgendorf. Mein Mann war gelernter Schmied, ging aber auf Erdarbeit. Beim Bau der Zittau–Görlitzer Straße mit beschäftigt, wurde er 1842 als Königl. Straßenwärter zwischen Ostritz und Hirschfelde angestellt.

Diese Aufzeichnungen stellte Werner Böhmer aus Zittau (siehe Kasten) zur Verfügung.