Von Jens Hoyer
Döbeln. Diese Geschichte hat was von einem Roman: Armer Döbelner macht in der Fremde sein Glück und kehrt als reicher Mann heim. Ralph Gundram hat sie als Kind von seiner Großmutter erzählt bekommen. „Damals habe ich das nicht für voll genommen“, meint der Hobby-Historiker. Bis er damit begann, Familienforschung zu betreiben. Er stieß dabei auf einen Döbelner, der ein indirekter Vorfahre seiner Großmutter, eine geborene Clemen, ist. Johann Gottfried Clemen war ein Abenteurer und brachte es vor fast 250 Jahren zu Berühmtheit. „Er hat in Döbeln für Furore gesorgt. Da kam einer mit zwei schwarzen Sklaven und hat mit Geld um sich geworfen“, erzählt Gundram.


Als Soldat nach Suriname
Clemen kam im südamerikanischen Surinam zu Reichtum. 1747 war der Tuchmachergeselle aus Döbeln fortgegangen. „Auf dem Hirtenberg soll er sich umgedreht und gesagt haben: Döbeln, du siehst mich nicht wieder“, erzählt Gundram. Es kam anders. Clemen ließ sich von der holländischen Armee anwerben und brachte es in kurzer Zeit zum Hauptmann. Als in Niederländisch-Guayana, dem späteren Suriname, ein Sklavenaufstand ausbrach, wurde er dort eingesetzt. Und er blieb in Suriname hängen. Ein reicher Plantagenbesitzer namens Mayß, der aus Luckenwalde stammte, fand Gefallen an dem jungen Mann und machte ihn zum Verwalter seiner Plantage. Und nicht nur das. Er verkuppelte ihn mit einer viel älteren Witwe und macht ihn so zum Herrn über eine große Kaffeeplantage samt Sklaven. Und als Mayß ohne Nachkommen starb, bekam er dessen Besitzungen noch dazu. Der arme Döbelner war ein gemachter Mann.
Über Clemen ist viel geschrieben worden, sagt Gundram. Einiges ist nicht richtig. Er hat selbst dazu geforscht, was im Zeitalter der modernen Medien kein Problem ist, und er hat dabei manches Neues über seinen berühmten Vorfahren herausbekommen. „Ich habe Kontakt zu eingewanderten Deutschen in Suriname, die sich mit der Kolonialgeschichte beschäftigen“, erzählt er. Auch in den Archiven der einstigen Kolonialmacht Holland schlummert Interessantes.
Johann Gottfried Clemen hatte kein Internet. So gänzlich abgeschnitten von seiner alten Heimat war er aber offenbar nicht. Sein Bruder, der in Freiberg wohnte, folgt ihm nach und starb auf der zweiten Schiffsreise. Zwei Neffen ließ Clemen in Holland ausbilden, damit sie ihn unterstützen konnten. Einer von ihnen starb ebenfalls auf einem Schiff und wurde in Holland begraben. Der andere liegt in Suriname unter der Erde. Sein Grab ist bis heute erhalten – und auch das von Johann Gottfried Clemen selbst. Es gibt Grundram Rätsel auf. Auf dem Grabstein steht als Geburtstag der 31. März 1727. Im erhalten gebliebenen Taufbuch von Döbeln ist die Geburt aber erst ein Jahr später verzeichnet. „Ich habe zu Clemen vieles in den Archiven gefunden, das bisher nirgendwo erwähnt wurde“, sagt Gundram
1771 war es Clemen dann offenbar doch in den Sinn gekommen, seine Heimatstadt zu besuchen – damals eine langwierige und nicht ganz ungefährliche Unternehmung. Im Mai reiste er mit dem Schiff los und kam nach Zwischenstation in Holland im September in Döbeln mit zwei dunkelhäutigen Dienern an. „Einer hieß Februar. Die auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogene Namensvergabe bei Sklaven scheint damals üblich gewesen zu sein“, sagt Gundram und spielt damit auf Robinson Crusoes Gefährten Freitag an. Clemen blieb bis Ende Februar und wäre fast das Opfer eines Verbrechens geworden. „Dunkle Gestalten wollten ihn überfallen. Der Pfarrer von Schrebitz hat ihn gewarnt“, so der Hobby-Historiker.
Clemenhaus am Obermarkt
Die Clemen waren eine hoch angesehene Tuchmacherdynastie in Döbeln. 1418 wurde zum ersten Mal ein Mitglied der Familie als Ratsherr genannt. Das Elternhaus von Johann Gottfried Clemen stand in der Zwingerstraße und ist lange abgerissen. Außerdem hatten die Clemens ein Haus am Obermarkt, dort, wo heute die Commerzbank steht, sagt Gundram. Das heute als Clemenhaus bekannte Gebäude gegenüber war erst viel später gekauft worden. Da machte die Familie schon in Schokolade. Sie hatte 1784 einen Kolonialwarenhandel in Döbeln gegründet und mit der Schokoladenproduktion begonnen. 1908 begann die Firma mit der maschinellen Herstellung und expandierte, zog 1911 an die Reichensteinstraße und ließ dort 1922 vom bekannten Architekten Werner Retzlaff eine Fabrik bauen, die vor einigen Jahren leider abgerissen wurde. 1934 ging das Unternehmen in Konkurs. „Das Jubiläum zum 150. Jahrestag haben sie noch gefeiert“, sagt Gundram. Das Porträt des berühmten Vorfahren zierte bis zuletzt die Verpackungen der Schokolade.
Gestorben ohne Nachkommen
Clemen war 1785 in Suriname gestorben. Er hinterließ keine Nachkommen und somit ist die Familie heute in dem Land ausgestorben. Dass trotzdem viele Einwohner den Namen Clemen tragen, hat mit einer Eigentümlichkeit des kolonialen Erbes zu tun. Als die Sklaverei abgeschafft wurde, benannten sich die Sklaven nach den Plantagen, von denen sie stammten, erzählt Gundram.
Im kommenden Jahr will er die Ergebnisse seiner Forschungen in einem Beitrag im „Döbelner Mosaik“ veröffentlichen, das zum Heimatfest erscheinen soll. Vielleicht kann er bis dahin eines der letzten Geheimnisse um Johann Gottfried Clemen lösen. Einer seiner Diener hatte sich auf der Rückreise nicht wieder in Holland mit eingeschifft. Er muss unterwegs gestorben sein. Vielleicht in Döbeln.