Der Nachbar mit der Eisenstange

Peggy Wessel* schaut missmutig hinüber zum Angeklagten. „Du weißt gar nicht, was Du der Kleinen angetan hast, Wojciech“, sagt die Frau, die am Montagvormittag als Zeugin in den Saal 100 des Amtsgerichts Görlitz geladen ist, zum Angeklagten. Sechs oder sieben Jahre lang war Wojciech Dubarski* ihr Nachbar auf der Görlitzer Brautwiesenstraße.
Doch an jenem Tag im Juli 2018 sei er „stockbesoffen“ gewesen und ausgerastet, schildert Peggy Wessel. „Ich saß mit meinem Ex-Mann, einem Nachbarn und meiner Tochter unten im Hof“, berichtet die 41-Jährige. Vom Balkon aus habe er gerufen, dass er herunterkomme und ihr eine Eisenstange über den Schädel schlagen wolle. Kurz darauf stand er tatsächlich im Hof – mit der Eisenstange. „Er hat sie auf den Tisch geschlagen und dann folgten die üblichen Beleidigungen wie Kurwa und Schlampe“, sagt sie. Anschließend sei Dubarski wieder in seine Wohnung gegangen.
In den Schuppen geflüchtet
Ihre Tochter, damals Erstklässlerin, sei in den Schuppen geflüchtet. Sie habe das Ereignis nie richtig verkraftet: „Sie hat seither nie mehr in ihrem Bett geschlafen, sondern immer bei mir“, sagt die Mutter. Erst nach Dubarskis Auszug – er musste nach der zweiten fristlosen Kündigung im Juni 2020 die Wohnung räumen und lebt nun auf der Zittauer Straße in Weinhübel – schlafe sie wieder in ihrem Zimmer.
Der Ausraster mit der Eisenstange ist nur einer von insgesamt vier Vorfällen, die sich zwischen Juli 2018 und April 2019 zugetragen haben sollen und für die der heute 54-Jährige am Montag vor Gericht steht. Die anderen lauten auf wiederholte und massive Beleidigung von Polizisten, nächtliche Ruhestörung in dem Haus auf der Brautwiesenstraße, auf Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Missbrauch von Notrufen. Zwölf geladene Zeugen – vornehmlich Polizisten und Rettungssanitäter, aber auch die Nachbarin und der Hausbesitzer, der direkt über Dubarski und Wessel lebt – zeichnen ein recht einheitliches Bild.
Oft betrunken gewesen
Sie alle haben den Angeklagten zu unterschiedlichen Zeitpunkten betrunken erlebt, er habe viel herumgeschrien, auch mit seiner Ehefrau habe er regelmäßig Streit gehabt. Beide haben abwechselnd die Polizei gerufen, manchmal auch andere Nachbarn oder der Vermieter. Wenn die Polizisten dann da waren, soll die Ehefrau häufig alles mit der Handykamera gefilmt haben. Das zumindest bestätigen sowohl der Angeklagte als auch mehrere Zeugen. Weil mit dem Angeklagten nicht zu reden war, sei er bisweilen auch in Gewahrsam genommen – aber schon nach wenigen Stunden wieder entlassen worden. Hinzu kam, dass der Hund des Angeklagten einem Polizisten ins Hosenbein gebissen haben soll. Die Hose ging dabei kaputt, aber der Polizist selbst wurde nicht verletzt. Einmal soll Dubarski auch eine Plastik-Bierflasche von seinem Wohnungsfenster aus auf die vor dem Haus stehenden Polizisten geworfen haben. Er traf weder die Beamten noch deren Fahrzeuge.
Lange in Krefeld gelebt
Dubarski selbst äußert sich kaum zu den Vorwürfen. Er ist ein nicht allzu großer Mann mit rundlicher Figur und kurzen, grauen Haaren. Geboren 1966 im polnischen Walbrzych (Waldenburg), lebt er schon lange in Deutschland. Er sei gelernter Formenhersteller, erklärt er vor Gericht. Heute sei er „Krankenrentner“. Gemeint ist vermutlich EU-Rentner. Neben der polnischen besitze er auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
Das Thema Nationalitäten ist das einzige, zu dem er sich vor Gericht tatsächlich äußert. Nämlich, als mehrere Zeugen aussagen, er habe eine dunkelhäutige Polizistin wiederholt und massiv rassistisch beleidigt. „Nein, das habe ich auf keinen Fall getan“, sagt Dubarski. Er habe 23 Jahre lang in Krefeld gelebt, jetzt sei er in Görlitz: „Ich fühle mich hier selbst als Ausländer und würde nie irgendwelche rassistischen Sachen zu anderen Menschen sagen.“
Den Zeugen viele Fragen gestellt
Ansonsten nutzen sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger Christian André Kanzog den Prozesstag, um fast allen zwölf Zeugen jede Menge Fragen zu stellen, die mit den eigentlichen Vorwürfen der Bedrohung und Beleidigung wenig zu tun hatten. Stattdessen vermitteln beide den Eindruck, massiv Zeit schinden zu wollen, um am ersten Verhandlungstag bloß nicht – wie von Strafrichter Ulrich Schettgen ursprünglich beabsichtigt – zu einem Urteil zu kommen.
Das gelingt ihnen am Ende auch. Die Ehefrau des Angeklagten konnte am Montag nicht mehr vernommen werden, weil die Zeit nicht ausreichte. Das soll nun beim Fortsetzungstermin am 28. September nachgeholt werden. Schettgen hofft, dann zu einem Urteil zu kommen. Die Delikte könnten mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden.
Traurig ist die Geschichte auch deshalb, weil die Innenstadt West ein besonders schwieriges soziales Viertel
ist. Die Stadt unternimmt seit Jahren so manches dagegen, aber oft geht es noch nicht so recht voran.
* ... beide Namen geändert