SZ + Sport
Merken

So tickt Deutschlands beste Sportschülerin

Andrea Herzog feierte mit Einser-Abitur, WM-Gold und Olympia-Qualifikation ein unglaubliches Jahr. Dann kam die Corona-Zeit - die der Meißnerin sogar gut tut.

Von Maik Schwert
 4 Min.
Teilen
Folgen
Andrea Herzog in ihrem Element: Die Slalomkanutin paddelt mit ihrem Canadiereiner im Wildwasserkanal.
Andrea Herzog in ihrem Element: Die Slalomkanutin paddelt mit ihrem Canadiereiner im Wildwasserkanal. © dpa

Dresden. Sie hält sich an die Regeln. „Ich passe mich der Situation an“, sagt Andrea Herzog, „es gibt keine andere Option.“ An ihren letzten Besuch in Meißen kann sie sich kaum erinnern. „Zu Weihnachten war ich auf alle Fälle da.“ Seit der Ausgangs- und Kontaktsperre nicht mehr. Dabei hängt die 20-Jährige an ihrer Heimat. „In Meißen bin ich aufgewachsen, dort habe ich meine Kindheit verbracht, dort leben meine Eltern und Großeltern.“

Zu Hause fühlt sie sich inzwischen aber in Leipzig, im benachbarten Markkleeberg steht der Wildwasserkanal. Seit vorigem Jahr wohnt die Slalomkanutin mit ihrem Freund in der ersten eigenen Wohnung. „Wir haben unsere Kumpels und sind eingebettet in eine Struktur.“ Sie meint geregelte Tagesabläufe, die ihr gerade jetzt Halt geben. Die Canadierfahrerin ist sonst enorm viel unterwegs, in Australien, Japan und Spanien. Privat reist sie nicht groß.

Mit ihren Eltern und Großeltern, die sie vor dem Virus schützen möchte, bleibt Herzog per Telefon in Kontakt. „Wir rufen uns häufiger an. Besonders die Älteren haben es schon ziemlich schwer. Sie sollen nicht mehr Bus fahren, einkaufen, Termine wahrnehmen.“ Sie begreift nicht, dass Menschen gegen Regierende hetzen. „Sie tun das einzig Richtige gegen steigende Zahlen bei Infizierten und Toten. Nur so bekommen wir die Krankheit in den Griff.“ 

Die Ansprüche ans Leben sind jetzt andere

Dass es Leute gibt, die das mit der fehlenden Meinungs- und Reisefreiheit in der DDR vergleichen, versteht sie auch nicht. „Ich finde es sogar gerade sehr angenehm. Herunterfahren tut auch mal gut.“ Die Ansprüche ans Leben sind nun andere. Sie benötigt nicht viel für einen schönen Tag, Spaß beim Training und Übungseinheiten im Wildwasserkanal, die funktionieren, genügen ihr.

Mit ihren Nachfolgern in der Schule möchte sie nicht tauschen. „Ich würde jetzt nicht gerne das Abitur machen.“ Herzog schafft das im vorigen Jahr mit einem Notenschnitt von 1,1 – dabei war sie durch Trainingslager und Wettkampfreisen häufig nicht da. Seit Juli gehört sie der Bundeswehr-Sportfördergruppe an, Canadierfahren mit einem Studium verbinden kann sie am besten als Sportsoldatin. Sie favorisiert Ernährungswissenschaft. „Diese Richtung wird sehr unterschätzt. Angeblich macht Ernährung 80 und Training 20 Prozent aus. Das ist eine Schlüsselstelle. Da gibt es für mich noch sehr viel tun“, findet sie.

Im September überrascht Herzog sportlich, als sie sich bei der WM in Spanien mit dem Einzug in den Endlauf für Olympia qualifiziert und dann das Finale auch noch gewinnt. Anschließend fliegt sie zum ersten Lehrgang nach Tokio. Die Strecke dort sei ziemlich schön, meint sie.

Die Auszeit ist gut - um mal wieder runterzukommen

Im Januar ehrt sie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Eliteschülerin des Jahres 2019. Dann breitet sich das Virus immer mehr aus, im März verlegt das Internationale Olympische Komitee die Sommerspiele auf 2021. Herzog hofft, „dass Olympia nicht noch auf 2022 verschoben wird“. Sie sieht es als Chance, „dass wir ein Jahr mehr Zeit haben, uns vorzubereiten“. Auch für den Kopf sei es gut, „dass wir den Stress noch mal gehen lassen und von vorn anfangen können“. Die Auszeit genießt sie in vollen Zügen und nutzt sie, um „mal etwas aus dem Druck rauszukommen“ – und auch, um auf das vergangene Jahr zurückzublicken: „2019 war surreal, einfach geil, was ich erreicht habe.“

Jetzt fühlt Herzog sich so gut erholt, „dass ich die neue Saison voller Elan und Motivation angehen kann“. Doch im Wildwasserkanal wirft sie die Pause weit zurück. „Ich habe das Gefühl verloren, fahre nicht mehr so schön rund durch die Tore“, sagt sie. „Ich brauche zwei, drei Wochen, bis ich das wieder so beherrsche, wie ich es gelernt habe.“ Schritt für Schritt tastet sie sich mit Trainingspartner Franz Anton an die Technik heran. Auch er fing in Meißen mit Kanuslalom an und gewann 2018 WM-Gold im Canadier-Einer.

Bei Olympia 2021 wird sie erstmals die Gejagte sein

„Wir bringen uns gegenseitig voran“, sagt Anton. „Wir sind Multiplikatoren, die sich besser machen.“ Den Rest erledigt Trainer Felix Michel, der allerdings auch die Einschränkungen durch die Pandemie spürt. „Felix hat eine berufstätige Frau und eine Tochter“, sagt Herzog. „Beide teilen sich die Betreuung, er kümmert sich morgens um sie und seine Frau nachmittags. Dann betreut Felix uns.“ Auf Dauer reiche das aber nicht. „Tendenziell wollen wir zweimal am Tag trainieren.“

Schließlich geht es um Olympia, „das Größte, was es gibt“. Doch selbst wenn sie dort Gold holen sollte, würde sie den WM-Sieg höher einstufen. Bei Sommerspielen tritt eine Fahrerin pro Land an, bei der WM starten die Besten aller Nationen. „Für den Titel musste ich mehr leisten. Bei Olympia spielen andere Faktoren eine Rolle, etwa der Druck.“ In Tokio wäre sie erstmals die Gejagte – 2021 oder wann auch immer.