Von Peter Chemnitz
Erdbeertorte und heiße Schokolade hat Andreas Schönfelder gestern in der Umweltbibliothek Großhennersdorf aufgetischt. Man feiert Abschied von Andrea Riccardi. Die US-Amerikanerin hat mit ihrer Neugier neuen Schwung in die Arbeit gebracht. Viele unbequeme Fragen hat sie gestellt und nur eines versteht sie noch immer nicht: Warum die Sachsen so gern Kaffee trinken.
Ganz geheuer war Andrea Riccardi der Enddreißiger nicht, der da in Kittlitz auf sie zu kam. Das Äußere des Mannes erfüllte alle ihre Klischees eines Skinheads: kurz geschorene Haare, grüne Bomberjacke, Springerstiefel. Für die US-Amerikanerin geradezu ein Bilderbuchnazi. Er sah genauso aus, wie die Literatur, die sie an der Universität von Durham in Bundesstaat New Hampshire studiert hat, ostdeutsche Neonazis beschreibt. Das sollte der Mann sein, bei dem sie in den nächsten Wochen Quartier beziehen wird? Unwillkürlich vergewisserte sie sich, dass ihr aus den USA mitgebrachter Begleiter, ein Deutscher Schäferhund, noch an ihrer Seite war. Allerdings ist Bernd Stracke alles andere als ein Rechtsextremist. Er ist Aktivist des Netzwerkes „Augen auf – Toleranz zeigen“.
„Meine erste Lektion“, sagt Andrea Riccardi. Die zweite lernte die 21-Jährige im „Alten Schlachthof“ in Dresden. Stracke hatte sie zu einem Konzert der Skinband Skatellites mitgenommen. Die jugendlichen Zuschauer hätten zwar alle sehr „gefährlich ausgesehen, haben mir aber nichts getan“, sagt die Studentin. Nicht alle Skins seien Nazis. Andrea, die in Durham Deutsch und Politikwissenschaften studiert, ist ins Dreiländereck gekommen, um sich mit dem Rechtsextremismus in Ostsachsen zu beschäftigen. Für ihre Diplomarbeit zum Thema „Skinheads in der Oberlausitz“ sammelt sie Material und studiert die in der Umweltbibliothek Großhennersdorf vorhandenen Schriften. Der Kontakt ist über die Hochschule Zittau/Görlitz entstanden, die eine Partnerschaft mit der Uni im Nordosten der USA pflegt. Die Hochschule stellte auch die Verbindung nach Großhennersdorf und dem Leiter der Umweltbibliothek, Andreas Schönfelder, her. Am Anfang sei ihr nicht ganz klar gewesen, warum sie in einer „Umweltbibliothek“ Material über Extremismus finden könne, sagt Andrea Riccardi.
Erst durch Schönfelder habe sie von der Geschichte dieser Einrichtung erfahren. Schönfelder stellte auch die Verbindung zu Stracke und nahm die Amerikanerin mit zur Zittauer Stadtratssitzung, auf der über den Erbbaupachtvertrag mit dem Nationalen Jugendblock abgestimmt wurde.
Lange Diskussionen über den Stadtratsbeschluss
Eine Entscheidung, über die Andrea viel mit ihren deutschen Freunden diskutiert hat. Sie findet, man solle den Verein als Mieter des Hauses dulden, dürfe aber keinen Erbpachtvertrag mit ihm schließen. Denn dann könnten die Rechtsextremisten tun, was sie wollen. „Dass die das Haus haben, ist nicht schlimm, schlecht ist, dass sich niemand um die Jugendlichen kümmert,“ sagt die Amerikanerin. Der NJB müsse durch Sozialarbeiter begleitet werden. Die Stadt dürfe sich nicht einfach auf der Verantwortung stehlen, indem sie dem Verein auch das Haus gibt. Für gefährlich hält Andrea Riccardi weniger die jugendlichen Glatzköpfe, als die 25- bis 30-Jährigen, die politisch agieren und sich bewusst im Hintergrund halten.
Sie erzählt von ihrem Austauschjahr im brandenburgischen Prenzlau. Dort besuchte sie die 10. Klasse einer Gesamtschule. Fast alle Mitschüler seien „rechts“ und ausländerfeindlich eingestellt gewesen, sagt sie. Sprüche wie „Ami hau ab“ habe sie sich fast täglich anhören müssen. Sie sei nur von drei, vier Leuten in der Klasse akzeptiert worden. Dabei habe sicher auch eine Rolle gespielt, dass sie nicht raucht und nicht trinkt, sagt Andrea.
So suchte sie sich ihre Freunde in anderen Kreisen und war am Ende traurig, dass das Jahr zu Ende war und sie wieder in die Staaten musste. Deutschland habe sie fortan nicht mehr losgelassen, erzählt sie. Immer wieder habe sie sich gefragt, warum diese Jugendlichen so extremistisch und intolerant sind. Ab Mai 2003 will Andrea ihre Diplomarbeit in Großhennersdorf über die Skinhead-Szene schreiben. Sie freut sich bereits auf ihre Rückkehr in eine für sie „sehr interessanten Region mit vielen netten Menschen“. Sie fühle sich hier nicht bedroht, sagt sie.
Aber das liege auch daran, dass sie fließend deutsch spreche und weiß sei. Sie wird nachdenklich: „Wenn ich eine schwarze Haut hätte, wäre das vielleicht anders.“