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Angst vor den Raketen

Auf beiden Seiten leidet die Zivilbevölkerung unter dem Krieg. Doch in Gaza gibt es keine Schutzräume.

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© dpa

Von Gil Yaron, Jerusalem

Kriegsalltag in Nahost: In Tel Aviv, Jerusalem und dem ganzen Süden Israels heulen rund um die Uhr Sirenen, Menschen rennen in Bunker oder in Schutzräume in ihren Wohnungen. Doch so unerträglich diese Routine ist, die Bewohner Gazas würden sich solche Zustände wünschen: „Für uns gibt es keine Vorwarnzeit“, sagt Raji Sourani aus Gaza-Stadt. „Wir erfahren von Luftangriffen durch keine Sirene, sondern durch Explosionen.“

Schlagabtausch in Nahost

Rakete aus dem Gazastreifen: Ziel ist die südisraelische Stadt Ashdod.
Rakete aus dem Gazastreifen: Ziel ist die südisraelische Stadt Ashdod.
Israelischer Luftangriffs auf den nördlichen Gazastreifen.
Israelischer Luftangriffs auf den nördlichen Gazastreifen.
Die israelischen Luftangriffe auf den nördlichen Gazastreifen treffen auch die Zivilbevölkerung.
Die israelischen Luftangriffe auf den nördlichen Gazastreifen treffen auch die Zivilbevölkerung.
Viele Menschen im Gazastreifen sind nach den israelischen Luftangriffen obdachlos.
Viele Menschen im Gazastreifen sind nach den israelischen Luftangriffen obdachlos.
Israelische Soldaten auf einer Militärbasis nahe der nördlichen Grenze zum Gazastreifen.
Israelische Soldaten auf einer Militärbasis nahe der nördlichen Grenze zum Gazastreifen.
Israelische Mädchen putzen am Dienstag einen Bombenschutzkeller in der der südisraelischen Stadt Ashkelon.
Israelische Mädchen putzen am Dienstag einen Bombenschutzkeller in der der südisraelischen Stadt Ashkelon.
Raketenalarm inTel Aviv: Israelis suchen Schutz neben ihren Autos. Bislang gibt es keine Berichte von Opfern in Israel.
Raketenalarm inTel Aviv: Israelis suchen Schutz neben ihren Autos. Bislang gibt es keine Berichte von Opfern in Israel.

Seit Wochen kann der 60-jährige palästinensische Menschenrechtler nicht mehr schlafen: „Dauernd donnern hier die Explosionen, dass die Fensterscheiben zittern. Es rüttelt an den Nerven, weil man nie weiß, wo die nächste Bombe einschlagen wird.“ Dabei ist nicht einmal ein Direkttreffer nötig, um Schaden anzurichten: „Die meisten Verletzten, die ich kenne, wurden von Schrapnell oder Glassplittern getroffen“, sagt Sourani.

In Israel ist der Zivilschutz genau geregelt: Vor 1991 musste jedes Haus einen Bunker haben. Seither hat sogar jede Wohnung einen eigenen raketensicheren Raum. Für Menschen, die gerade nicht daheim sind, gibt es öffentliche Schutzräume. Kindergärten, Schulen und Universitäten verfügen per Gesetz über raketensichere Räume. Wer sich dennoch im Dauerraketenhagel fürchtet, packt seine Sachen und besucht Verwandte oder Freunde außerhalb der Gefahrenzone.

„Wir können nirgends hin. Wenn die Bomben fallen, beginnt unsere Form von russischem Roulette: Wir können nur hoffen, dass es uns nicht trifft“, sagt hingegen Sourani. Selbst Familien mit Kindern müssen den Krieg in ihren Wohnzimmern überstehen: „Es gibt keinen sicheren Ort. Nicht draußen, nicht im Haus“, sagt der 40 Jahre alte Hammad. „Es wird ja immer geraten, sich ins Treppenhaus zu flüchten, aber das hat wenig Sinn. Die israelischen Bomben machen ganze Mehrfamilienhäuser dem Erdboden gleich“, sagt Hammad, der mit seiner Frau und acht und zehn Jahre alten Söhnen im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses in Gaza wohnt.

Es beruhigt ihn kaum, dass Israels Luftwaffe sich bemüht, nur bestimmte Personen mit Präzisionsschlägen auszuschalten: „Ich glaube nicht, dass sie immer genau wissen, was sie tun.“ Zudem weiß auch er, dass die Hamas ihre Raketen von Wohngebieten aus auf israelische Städte abschießt und diese so in Angriffsziele der Israelis verwandelt.

Rituale der Beruhigung

„Der Gazastreifen ist einer der am dichtesten besiedelten Landstriche der Erde“, sagt Hammad. Es klingt fast wie eine Entschuldigung für das, was die Hamas tut. Er will nur seine Söhne schadlos auch durch diese Krise bringen. Jedes Mal, wenn draußen die Feuerbälle in den Himmel steigen, bekommen seine Söhne Angst: „An Schlaf kann niemand denken. Selbst wenn sie in ihren Betten sind, starren sie die ganze Nacht die Decke an und warten auf den nächsten Angriff“, erzählt Hammad. Wenn es dann kracht, „besteht mein Großer darauf, dass wir alle zusammen sind. Niemand darf die Wohnung oder das Zimmer verlassen.“ Er versucht dann, ihn mit Ritualen zu beruhigen. „Manchmal hilft das“, sagt Hammad. In den letzten Tagen löchert ihn sein Ältester mit Fragen: „Haben die Israelis auch Kinder? Haben sie auch Angst? Leiden sie wie wir?“, will er wissen.

So schwer und hoffnungslos die Lage scheint: Hammad und Sourani denken nicht daran, ihre Heimat zu verlassen: „Wir sind Teil dieses Landes, meine Familie hat tiefe Wurzeln hier“, sagt Sourani. Hammad will den Israelis deswegen eine Botschaft übermitteln: „Sie sollten wissen, dass hier nicht alle Militante sind. Rund 52 Prozent der Bewohner Gazas sind Kinder. Sie brauchen Bildung, und eine bessere Zukunft. Das sollten sie bedenken, bevor sie hier ihre Bomben abwerfen“, sagt er.