Anhörung im Schrebergarten

Meißen. Seit mehr als sechs Wochen arbeitet das Amtsgericht in einer Art Notbetrieb. Strafverhandungen fanden überhaupt nicht mehr statt. Amtsgerichtsdirektor Michael Falk erklärt im SZ-Interview, warum das so ist.
Herr Falk, ist absehbar, wie lange das Gericht noch im Notbetrieb arbeitet?
Notbetrieb ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es gibt keinen einzigen Bereich im Amtsgericht Meißen, der seit Beginn der Corona-Krise nicht gearbeitet hat. Wir haben allerdings die öffentlichen Kontakte stark eingeschränkt. Zivil- und Familiensachen wurden unter Einhaltung der Hygieneregeln verhandelt, Strafsachen allerdings nicht.
Warum keine Strafverhandlungen?
Die Strafverhandlungen finden ja im Haus am Neumarkt statt. Diese dürfen nach Maßgabe des sächsischen Verwaltungsgerichtes nur dann durchgeführt werden, wenn die Möglichkeit besteht, die Säle ausreichend zu belüften. Das ist in Meißen am Neumarkt nicht der Fall. Die Fenster können in den Sälen überhaupt nicht geöffnet werden, es gibt eine Klimaanlage. Diese arbeitet nach dem Umluftprinzip, die Luft wird also immer wieder umgewälzt, keine oder nur wenig Frischluft eingeleitet.
Es herrscht also dicke Luft im Amtsgericht?
Das kann man so sagen. Da es keine Virenfilter gibt, jedenfalls an keinem sächsischen Gericht, haben wir das Problem jetzt gelöst, indem die zuständige Firma die Klimaanlage umgestellt hat. Jetzt wird nur noch Frischluft zugeführt.
Es kann also ab sofort wieder verhandelt werden?
So einfach ist es nicht. Es sind zum Beispiel die Mindestabstände einzuhalten. Das geht zum Beispiel bei Schöffensachen nicht. Der Richtertisch ist 4,90 Meter lang. Ein Richter und zwei Schöffen könnten im notwendigen Abstand sitzen, die Urkundsbeamtin aber nicht mehr. Die müsste dann einen Platz im Saal einnehmen. Schwierig wird es auch bei Verhandlungen mit mehreren Angeklagten und mehreren Verteidigern. Auch hier können die Mindestabstände dann nicht immer eingehalten werden.
Wie wollen Sie das lösen?
Wir haben Plexiglasscheiben bestellt, zudem gibt es die Überlegung, größere Verhandlungen am Oberlandesgericht Dresden abzuhalten.
Welche Einschränkungen gibt es für Besucher und Zeugen?
Vorläufig werden wir nur noch im Saal 1, also dem größten Saal, verhandeln. Dort gibt es jetzt nur noch maximal sieben Plätze für Besucher. Auch auf dem Gang gibt es Vorschriften. Wir erwarten von allen Besuchern, Mundschutz zu tragen. Auf den Bänken vor den Sälen darf nur noch eine Person sitzen. Auch ansonsten ist der Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten. Zeugen werden gestaffelt geladen, sodass sich nicht alle gleichzeitig auf dem Gang aufhalten müssen. Wer eine Angelegenheit im Amtsgericht zu erledigen hat, muss sich vorher telefonisch anmelden.
Ist bei sieben Besuchern überhaupt noch das Öffentlichkeitsprinzip der Verhandlungen gewahrt?
Ja. Es gibt kein Gesetz, welches vorschreibt, wie viele Besucher an einer Hauptverhandlung teilnehmen dürfen. Auch in normalen Zeiten darf niemand mehr in den Saal, wenn alle Plätze besetzt sind.
Wie lange gelten die Einschränkungen?
Der Besucherverkehr bleibt so lange eingeschränkt, so lange sich die Infektionslage nicht ändert, im Zweifel so lange, bis ein Impfstoff gegen das Coronavirus zur Verfügung steht.
Es gibt aber doch Fälle, in denen Fristen ablaufen. Wie wird damit verfahren?
Das Nachlassgericht hatte und hat die ganze Zeit normal geöffnet. Bei Erbangelegenheiten benachrichtigen wird die Erben aber vorerst nicht. Damit beginnt die Frist, um ein Erbe auszuschlagen, nicht zu laufen. Denn verlängert werden können diese Fristen nicht. Dies wäre nur dann möglich, wenn der Notstand ausgerufen würde. Das ist aber nicht der Fall. Auch im Betreuungsbereich gibt es unaufschiebbare Fälle. Wir führen deshalb Begutachtungen in der Häuslichkeit durch. Ich selbst hatte Begutachtungen unter Corona-Bedingungen im Pflegeheim und einmal sogar in einem Garten. Als es zu regnen anfing, sind wir in die Gartenlaube gegangen. Ein Kollege machte sogar eine Begutachtung in der Psychiatrie in Arnsdorf unter Vollschutz.
Ein Richter, der auch Vorsitzender des Schöffengerichtes war, verließ das Amtsgericht Meißen. Wer übernimmt jetzt dessen Aufgaben? Ist eine Neubesetzung der Stelle schon erfolgt?
Ja, es gibt eine Richterin, die ab 1. Juli diese Stelle besetzen wird. Das Präsidium muss dies aber noch beschließen.
Befürchten Sie aufgrund der Corona-Krise und der damit verbundenen Einschränkungen einen Verhandlungsstau? Wenn ja, wie soll dieser abgebaut werden?
Auf jeden Fall gibt es einen Verhandlungsstau, der auch nicht so schnell abzuarbeiten ist. Vor allem Verhandlungen mit mehreren Beteiligten sind komplex und schwierig.
Sitzungshaftbefehle werden aufgehoben, Ersatzfreiheitsstrafen zurzeit nicht vollstreckt, Verhandlungen verschoben, was Vorteile für Angeklagte bringt, denn je länger die Tat zurückliegt, desto milder die Strafe. Profitieren Straftäter von der Corona-Krise?
In gewisser Weise schon. Doch wir müssen zwischen zwei Rechtsgütern abwägen, entscheiden, was wichtiger ist - der Schutz der Gesellschaft vor Straftätern oder der Schutz der Gesundheit. Die jetzt verschobenen Verhandlungen werden ja nicht so viel später stattfinden, als dass es zu einer großen Strafmilderung kommen könnte.
Die Digitalisierung ist an der Justiz bisher weitgehend vorbeigegangen. Wird die Corona-Krise, die zu verstärkter Heimarbeit auch in der Justiz führte, Ihrer Meinung nach dazu beitragen, dass die elektronische Akte früher als geplant eingeführt wird?
Ein Teil unserer Mitarbeiter ist im Homeoffice, wir haben sie so ausgestattet, dass sie technisch dazu in der Lage sind. Weitere werden folgen. Im Grundbuchamt haben wir die elektronische Akte schon seit einiger Zeit, in der Zivilabteilung wird es im nächsten Jahr losgehen. In Strafverfahren soll es nach unserem Stufenplan 2024 soweit sein. Ich gehe davon aus, dass es dabei bleibt.
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