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Annaliese Mayer-Meintschel gestorben

Die Kunsthistorikerin war eine Institution im Dresdner Kulturleben. Sie leitete in der DDR die Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister.

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Annaliese Mayer-Meintschel, im Hintergrund das Gemälde "Brieflesendes Mädchen" von Jan Vermeer.
Annaliese Mayer-Meintschel, im Hintergrund das Gemälde "Brieflesendes Mädchen" von Jan Vermeer. © © SKD, Foto: Wolfgang Kreische

Von Uta Neidhardt, Oberkonservatorin der Dresdner Gemäldegalerie

Das Wirken, Denken und Fühlen von Annaliese Mayer-Meintschel war bis zuletzt mit der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister und ihren Kollegen verbunden. Die langjährige Direktorin der Sempergalerie starb am Donnerstag in Dresden-Loschwitz im Alter von 91 Jahren. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte in Halle/Sa. begann sie 1952 als wissenschaftliche Assistentin der Gemäldesammlung in Schloss Pillnitz. 1956 nahm sie die Hauptwerke der Gemäldegalerie nach deren Rückkehr aus der Sowjetunion mit in Empfang.

Die stilvolle, ausgewogene Präsentation der Werke im wiedereröffneten Semperbau und die feinsinnige, zugleich anspruchsvolle Vermittlung dieser Schätze der Weltkunst an ein bildungshungriges Publikum waren fortan ihr größtes Anliegen. Von 1968 bis 1991 war sie Direktorin der Gemäldegalerie Alte Meister – ein herausforderndes Amt, das sie unter teils schwierigen gesellschaftlichen Verhältnissen dank ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten und Gaben mit großem Erfolg ausübte. Dass der Ruf der Dresdener Gemäldesammlung bald wieder weit über die Grenzen der DDR hinaus drang, war auch ihrer weltweiten Vernetzung zu verdanken. Es gelang ihr, den Charakter der Gemäldegalerie zu wahren und sie zugleich der internationalen Forschung und einem großen Publikum aus Ost und West zu öffnen.

Ihre wissenschaftliche Spezialisierung galt den Werken der Holländischen und Flämischen Malerei des 15. bis 18. Jahrhunderts. Ihnen widmete sie sich in ihrer Dissertation und in zahlreichen Veröffentlichungen zu Hauptwerken der Sammlung, etwa zu Jan van Eycks „Marientriptychon“, zu Rembrandts „Selbstbildnis mit Saskia“ und Vermeers „Kupplerin“ und dem „Brieflesenden Mädchen“. Als Kuratorin großartiger und wichtiger Ausstellungen zur Europäischen Landschafsmalerei 1972 oder zur Stilllebemalerei 1983 setzte sie kunsthistorische Wegmarken. Durch international hochbeachtete Ausstellungen in Tokyo, Kyoto, San Francisco, New York und Washington, aber auch in Moskau, Leningrad, Stockholm, Mexico und New Delhi, wurde sie zur Botschafterin Dresdens in der Welt. Mit ihren etwa 100 Publikationen, mit Vorträgen auf nationaler und internationaler Bühne und nicht zuletzt durch die legendären Galeriekonzerte, die sie besonders liebte, vermochte sie ein großes Publikum für die ihr anvertrauten Schätze zu sensibilisieren.

Mit ihrem wachen, kritischen und durchaus fordernden Geist hat Annaliese Mayer-Meintschel auch in den Jahren ihres Ruhestandes weiter geforscht und das Wirke ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger in der Sammlung begleitet. Noch Jahre nach ihrem offiziellen Ausscheiden aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hatte ihr Urteil Gewicht, wurden ihr auf ihren Wunsch neue Untersuchungsergebnisse regelmäßig vorgestellt. Viele Kollegen schätzten den anregenden, geistreichen, oft mit hintergründigem Humor gewürzten Dialog mit ihr, einer der letzten großen Zeitzeuginnen der Dresdener Kunst und Kultur.