Von Varinia Bernau
„Rund 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in unserem Land werden von Angehörigen gepflegt“, sagt André Maywald, Geschäftsführer des Kreisverbandes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Görlitz. Doch für ihn ist der Umkehrschluss aus der Statistik wichtig: „Das heißt, dass es für 30 Prozent der Pflegebedürftigen ein hochprofessionelles Netzwerk gibt, während die Mehrheit mit ihren Problemen weitgehend allein da steht.“
Viele verzweifeln alleine
Diejenigen, die Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn versorgen, sind mit ihrem Patienten verbunden. Und dies rund um die Uhr. Nicht wenige, das zeigen Befragungen, verausgaben sich, vereinsamen, verzweifeln – zumeist, weil sie um Unterstützungsangebote nicht wissen, schlechte Erfahrungen mit oder Vorbehalte gegen Hilfe von außen haben.
Genau dies soll ein bundesweites Modellprojekt ändern, das DRK und Barmer ab kommendem Monat in Görlitz umsetzen. Ehrenamtliche Pflegebegleiter, so die Idee, sollen pflegenden Angehörigen den Rücken stärken – sei es mit einem Ratschlag, sei es mit aufbauenden Worten. Sie vermitteln zwischen den Angehörigen auf der einen und den Pflegediensten, Ämtern und Krankenkassen auf der anderen Seite.
„Der Pflegebegleiter ist kein Ersatz für den fachkundigen Berater“, erläutert André Maywald. „Er ist der Mensch, den ich ansprechen kann, ohne dass er mir dafür 50 Euro berechnet, ohne dass ich fürchten muss, dass er meine kranke Mutter vielleicht eine Pflegestufe runter setzen will.“
Für Christian Gläser, Regionalgeschäftsführer der Barmer Ostsachsen, ist Görlitz die richtige Stadt, um solche neuen Wege zu beschreiten. „In Görlitz haben wir eine spezielle Situation: Es sind vor allem die jungen Menschen, die weggehen, und die älteren, die zurück bleiben.“ Die Gefahr für die soziale Ausgewogenheit sei hier groß, eine „neue Pflegekultur“ umso dringender notwendig. „Wir wollen die Idee einer gemeinsamen Verantwortlichkeit für die Sorge um pflegebedürftige Menschen in Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft in die Tat umsetzen.“
Sechs Freiwillige haben sich bereits als erste Pflegebegleiter beim DRK in Görlitz gemeldet. Sie alle haben selbst über einen langen Zeitraum ihre Angehörigen gepflegt – eine gute, aber keine zwingende Voraussetzung für die Teilnahme an dem Projekt.
Ende August soll ein kostenloser Kurs für die angehenden Pflegebegleiter beginnen. Bis Weihnachten wollen Mitarbeiter des DRK und der Barmer ihnen das nötige Rüstzeug vermitteln, um pflegenden Angehörigen den Rücken zu stärken. Rechtliche und ethische Fragen stehen auf dem Lehrplan, Diskussionen darüber, wie mit Krankheit, Behinderung und Alter umzugehen ist, eine Exkursion ins Altersheim. Weiterhin nehmen die Pflegebegleiter regelmäßig an Schulungen teil.
Unterstützung muss stimmen
André Maywald zeigt sich zuversichtlich, dass sich noch mehr freiwillige Helfer für das Projekt melden werden: „Unsere Erfahrung zeigt, dass solche Angebote von selbst weiter getragen werden. Unser Netzwerk funktioniert gut.“ Projektkoordinator Alexander Peter unterlegt die Zuversicht mit weiteren Zahlen vom statistischen Bundesamt: „37 Prozent der Bundesbürger sind bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren, wenn die Projektidee stimmt.“