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Ansturm der Bedürftigen

Nach dem Wegzug aus Sporbitz bilden sich nun vor Weihnachten am neuen Laden der Dresdner Tafel lange Schlangen.

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Von Tobias Wolfund Stefan Rössel

Renate Al Atrash wartet an diesem Morgen geduldig vor dem neuen Laden der Dresdner Tafel an der Finsterwalder Straße in Prohlis. Immer mehr Menschen gesellen sich zu ihr. Die Schlange vor der Ausgabestelle wird lang, denn so kurz vor Weihnachten ist der Bedarf an günstigen Lebensmitteln besonders groß bei den Armen in dieser Stadt.

Renate Al Atrash hat Glück. Weil sie schon über eine halbe Stunde vor Ladenöffnung gekommen ist, steht sie nun mit ihrer Schwester weit vorn. Sie will für die bevorstehenden Festtage einkaufen. „Einen richtig schönen Obstsalat will ich mal wieder machen“, sagt die 59-Jährige, während sie neben ihrer frierenden Schwester wartet, die im Rollstuhl sitzt. Es soll eine kleine Freude für die beiden sein, ein Lichtblick in der Weihnachtszeit. Doch die Ausgabestelle bleibt trotz der niedrigen Temperaturen zu. Eine Brot-Lieferung steht noch aus.

Nach einer halben Stunde schickt Al Atrash ihre Schwester lieber nach Hause, weil ihr zu kalt ist. Bloß keine Erkältung mehr vor dem Fest. Inzwischen ist der kleine Laden geöffnet. Die wartenden Menschen strömen hinein, machen ihre Runde entlang der Regale und packen ein: Brot, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse, dazu Milchprodukte und Konserven – wie in einem richtigen Supermarkt. Nur dass dies kein gewöhnliches Geschäft ist. Die Tafel hat eine Erdgeschoss-Wohnung im Plattenbau zum Laden umfunktioniert. Die Lage scheint gut gewählt, gegenüber residiert der Soziale Möbeldienst des Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerks. Im Treppenhaus erledigen Ehrenamtliche die Formalitäten, prüfen die Ausgabekarten und kassieren Gebühren. Das ist nur ein kleiner Beitrag zu den Unkosten der Hilfsorganisation, 2,60Euro für Alleinstehende, 3,60Euro für bis zu vier Personen. Die Lebensmittel selbst gibt es kostenlos. Für ihre Bedürftigen erhält die Dresdner Tafel von Firmen und Supermärkten rund 2000 Tonnen Lebensmittelspenden pro Jahr.

Ein Obstsalat zu Weihnachten

Als Renate Al Atrash schließlich an der Reihe ist, zückt sie ihre Karten, eine blaue für ihre kranke Schwester, die gelbe für sich selbst und die ebenfalls behinderte Tochter. Die Hartz-IV-Empfängerin hat einmal ein anderes Leben geführt, doch ihren geliebten Job als Buchdruckerin gab sie auf, um Schwester und Tochter zu pflegen. Seither bekommt sie Arbeitslosengeld II, ist auf Unterstützung durch die Tafel angewiesen. Mit zwei großen, stabilen Plastiktaschen macht sie nun ihre Runde in den zwei kleinen Räumen des Ladens, nimmt Bananen, Orangen und Äpfel für den Obstsalat. Dazu kommen Gemüse, Tiefkühlpizzen und Konserven, damit sie auch die Feiertage übersteht, wo die Tafel geschlossen hat.

„Als es den Laden hier noch nicht gab, bin ich immer nach Reick zur Tafel gefahren, um mich mit dem Nötigsten einzudecken“, sagt Al Altrash. „Dass es nun einen bei mir um die Ecke gibt, macht vieles einfacher.“ Auch Tafelkundin Ursula Klette ist froh über den neuen Laden, weil er nahe bei ihrer Wohnung liegt. Vor längerer Zeit sei sie noch nach Sporbitz gegangen, aber das sei ihr dann zu weit geworden. Jetzt kommt sie alle zwei Wochen. Auch die Kunden der Organisation aus dem Dresdner Osten kommen nun regelmäßig in die Prohliser Filiale. So wie drei Laubegaster, die zusammen eine Fahrgemeinschaft bilden, um Kosten zu sparen. Insgesamt werden dort nun rund 850Menschen versorgt.

Aber es gibt auch Kritik an der Prohliser Ausgabestelle. „Sporbitz war schöner“, sagt einer der Kunden. „Das Lager war größer, das Angebot besser, die Ware frischer, und man wartete bei so einer Kälte in der Halle.“ Die Prohliser Ausgabestelle dagegen ist klein, eng und hat nur einen Eingang, was manchmal zu Wartezeiten führen würde.

Den Laden öffnete die Dresdner Tafel erst vor wenigen Wochen. Denn am alten Standort im Sporbitzer Gewerbegebiet musste die Hilfsorganisation wegen drückend hoher Mieten raus. „Außerdem ist der neue Laden für die meisten Bedürftigen besser mit Bus oder Bahn zu erreichen“, sagt Tafel-Chefin Edith Franke. „In Sporbitz musste man noch sehr weit laufen.“

Laufen muss auch Franke viel. Denn für das Weihnachtsfest will sie unbedingt noch mehr Süßigkeiten für die Bedürftigen vorbereiten. „Einen Stollen haben viele schon bekommen, aber das meiste bunkern wir für Heiligabend“, sagt die Tafel-Chefin. „Da öffnen wir noch mal von elf bis 14Uhr in der Zwickauer Straße, damit auch jeder über die Feiertage kommt.“ Der Zeitpunkt für so viel Nächstenliebe könnte kein besserer sein.