Von Thomas Riemer
Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer als Bildung ist: nämlich keine Bildung. Sabine Heitsch, Leiterin des Kolping-Bildungszentrums für Riesa, stellt die These in den Raum in der Aula des Nünchritzer Kolping-Standortes. Und erntet Zustimmung unter den etwa 20 Arbeitgebern aus der Region. Die hatten sich am Freitag zu einem Arbeitsforum getroffen, initiiert von der Gemeinde Nünchritz, dem Landratsamt Riesa-Großenhain und eben dem Kolping-Zentrum.
Vorurteile beiderseits
„Die Schüler, die wir heute brauchen, sind die Facharbeiter von morgen“, nannte der Nünchritzer Bürgermeister Udo Schmidt als ein Anliegen. Und dabei dürfe man keinesfalls vergessen, dass es sehr viele schwer behinderte Menschen und anderweitig Benachteiligte auf dem Arbeitsmarkt gebe.
Die zu integrieren, tun sich viele Betriebe schwer. Immerhin sind derzeit zwischen Elbe und Röder rund 550 Schwerbehinderte ohne Job. Viele Unternehmen stünden dieser Personengruppe zu skeptisch gegenüber, sagt Thomas Buhl. Er stellte eine Studie vor, bei der die M+E Consult GmbH in Dresden Möglichkeiten für eine bessere Integration schwer behinderter Menschen in das Erwerbsleben, speziell aus Sicht der sächsischen Metall- und Elektroindustrie, untersucht wurden. „Es gibt Vorurteile auf beiden Seiten“, sagt Buhl mit Blick auf die Arbeitgeber und die Betroffenen. Die abzubauen, sei nicht einfach. Dafür brauche es Konzepte, um die Profile der betroffenen Arbeitssuchenden und des Unternehmens aufeinander abzustimmen. „Arbeitgeber sollten nicht nur auf die Behinderung schauen, sondern fragen: Passt der Mensch zu uns, oder passt er nicht“, so Buhls Empfehlung. Einstellungen dürften nicht am Blick auf etwaige Mehrkosten bei der Schaffung entsprechender Behindertenarbeitsplätze scheitern. Eben jene Mehrkosten könnten durch staatliche Förderprogramme aufgefangen werden. „Integration schwer behinderter Menschen? Rechnet sich!“ heißt es deshalb schon auf dem Titelblatt der kleinen Broschüre zu Buhls Analyse.
Das hat der Nünchritzer Chemie-Gigant Wacker längst erkannt. 24 Schwerbehinderte und zwölf anderweitig Benachteiligte sind im Unternehmen tätig. Hinzu kommt eine Behindertenwerkstatt. Werkleiter Gerd Kunkel verwies nicht ohne Stolz darauf, dass außerdem seit 1998 sämtliche Auszubildende auch bei Wacker eingestellt wurden. Das wiederum spreche für die Qualität der Ausbildung im benachbarten Kolping-Bildungszentrum, das seit 14 Jahren für das Nünchritzer Chemiewerk arbeitet. Aber: Im Fernsehen gebe es leider keine „Seifenoper“, die in einem Chemiewerk spielt – sprich: Berufe in der chemischen Industrie sind offenbar bei Jugendlichen weniger begehrt. Gerd Kunkel „verrät“ ein Rezept dagegen und verweist auf die vielen Projekte, die Wacker für und mit Schülern anbietet.
Benachteiligte Auszubildende gibt es im Kolping-Bildungszentrum relativ viele. Deshalb freut sich Leiterin Sabine Heitsch, dass im Durchschnitt 97 Prozent der Azubis die Prüfungen im ersten Anlauf schaffen und es überdies immer weniger Ausbildungs-Abbrüche gibt. Und sie verweist ebenso auf die Integrationsabteilung in ihrem Haus, deren acht Stellen für Behinderte in Dauerarbeitsplätze übergehen sollen.
Nur Lob für Kolping hat Unternehmerin Eva-Maria Pietsch. Sie habe in ihrem Garten- und Landschaftsbaubetrieb einen lernbehinderten Azubi übernommen, der in der Wirtschaft keine Chance gehabt hätte. Doch im Nünchritzer Bildungszentrum habe er innerhalb eines Jahres Riesen-Fortschritte gemacht. Das sei kein Einzelbeispiel. „Ich hänge an meinen Kolping-Kindern“, so Pietsch.
Als „Versuch, sich näher zu kommen“ hatte Bürgermeister Schmidt als Ziel des Forums ausgegeben. Zumindest bei den rund 20 teilnehmenden Arbeitgebern ist es offenbar angekommen.