Arbeiten im Homeoffice – so klappt’s

Der Sohn brüllt nach Klopapier, die Tochter versteht die Physikaufgabe nicht. Im Ofen verbrennt gerade die Fertigpizza, und der Chef fragt, wann er endlich mit der Kalkulation rechnen kann: Homeoffice, in das viele jetzt Corona-bedingt geschickt werden, kann zur Belastungsprobe werden – vor allem für Eltern. Bis sich die neuen Abläufe eingespielt haben, herrscht mitunter Chaos. Wie sich das organisieren lässt, erklärt Hannes Zacher, Arbeitspsychologe an der Universität Leipzig.
Herr Zacher, für viele ist die Situation ganz neu, zu Hause zu arbeiten. Daheim ist der Platz für Familie und Freizeit. Wie kann es gelingen, trotzdem eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen?
Bisher galt die Empfehlung, Homeoffice keinesfalls mit Kinderbetreuung zu kombinieren, weil das unweigerlich zu Konflikten führt. Meist kann man sich weder richtig auf den Beruf noch auf die Familie konzentrieren. Deswegen ist die derzeitige Situation für viele absolut unideal. Und trotzdem müssen wir Lösungen finden. Es empfiehlt sich, sofern möglich, zu Hause einen Raum zum Arbeiten einzurichten. Bei mir ist es das Schlafzimmer. Hier steht der Schreibtisch. Auch Absprachen mit dem Partner oder anderen Familienangehörigen sind wichtig, um die Kinderbetreuung auf mehrere Schultern zu verteilen und so zumindest feste Zeiten für das Arbeiten zu schaffen.
Was, wenn die Wohnung eine räumliche Trennung einfach nicht hergibt und Partner plus Kinder gemeinsam in der Küche oder im Wohnzimmer arbeiten und Schulaufgaben erledigen müssen?
Dann sollte man sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch in der Familie Schwierigkeiten offen ansprechen und das überhaupt mögliche Arbeitspensum klären. Wenn eine räumliche Trennung nicht möglich ist, sind zeitliche Absprachen umso wichtiger. Erklären Sie Ihren Kindern, wann Mama oder Papa nicht gestört werden dürfen. In meiner Familie haben wir klare Essenszeiten definiert, und ich versuche zudem, zu festen Zeiten kurz mit den Kindern rauszugehen. Dann gibt es wiederum klar abgesteckte Arbeitszeiten für mich, in denen die Kinder entweder Schulaufgaben machen oder selbstständig etwas malen oder basteln.
Manche Schulaufgaben müssen einfach auch betreut werden. Wie kann man das noch unterbringen?
Ich würde raten, Arbeit und Unterricht abwechselnd zu gestalten. Von 8 bis 9 Uhr werden zum Beispiel Schulaufgaben erledigt, ab 9 Uhr arbeite ich, und die Kinder beschäftigen sich allein. Vor der Mittagspause ist dann wieder eine gemeinsame Stunde für Schulstoff vorgesehen. Das ist nicht optimal, aber man muss jetzt einfach versuchen, eine Art Stundenplan für zu Hause zu koordinieren. Das ist unheimlich wichtig, damit wir wieder Kontrolle über die Situation gewinnen.

Mit Kleinkindern wird das umso schwieriger. Was halten Sie von Tipps wie Kopfhörer aufzusetzen, um sich „abzuschotten“, oder früher aufzustehen, um vor- oder nachzuarbeiten, wenn die Kinder schon im Bett sind?
Kopfhörer sind eine gute und praktische Lösung, um Straßenlärm auszublenden, mehr aber auch nicht. Meine Empfehlung: In der Krise gehen Gesundheit und Familie vor Arbeit. Dem sollten sich Vorgesetzte bewusst sein. Kinder brauchen jetzt Unterstützung, um die Situation zu verstehen. Eine Verlagerung der Arbeitszeit kann ich daher auch nur bedingt empfehlen. Meine Frau arbeitet zwar schon mal ab 4 Uhr morgens, um ungestört zu sein, ich dann im Gegenzug eher am Abend. Allerdings sollte man immer auf die Gesundheit achten. Alles unter einen Hut bringen zu wollen und dafür Überstunden zu machen oder Schlafmangel in Kauf zu nehmen, ist keine Lösung. Regelmäßig trinken und gesund essen, das Einhalten von Pausen, ja selbst das regelmäßige Aufstehen vom Schreibtischstuhl sind wirklich wichtig.
Was gilt für die Arbeitskleidung? Kann man auch in Jogginghose und Bademantel oder vom Sofa aus effektiv arbeiten?
Es ist gut, sich auch zu Hause in eine arbeitsbezogene Stimmung zu bringen. Dazu kann gehören, dass man bequeme Arbeitskleidung trägt. Im Homeoffice geht es darum, Strukturen zu schaffen, die nicht vorhanden sind. Da kann neben der richtigen Kleidung auch ein Wecker helfen, der an Pausen erinnert. Und weil Sie nach dem Sofa fragten: Es ist in keinem Fall ein guter Arbeitsplatz, sondern gesundheitsschädlich. Wer keine Büromöbel zu Hause hat, sollte seinen Arbeitgeber um Unterstützung fragen oder die Neuanschaffung von der Steuer absetzen. Vor allem, weil vermutlich noch mehrere Wochen im Homeoffice gearbeitet wird. In effektiven Arbeitsphasen sollte man zudem Ablenkungen minimieren. Das heißt auch, nicht immer wieder die Nachrichten zu aktualisieren. Überstunden, die im Homeoffice laut Studien häufiger anfallen, und zusätzliche Kosten, die etwa über das Telefonieren mit dem Privattelefon entstehen, sollte man genau dokumentieren und abrechnen.
Im Homeoffice entfällt die soziale Funktion von Arbeit. Das kann zu einem Motivationstief führen. Was hilft dagegen?
Tatsächlich gibt es Personen, die starke soziale Bedürfnisse haben. Sie kommen mit der Situation schlechter zurecht als introvertierte Arbeitnehmer. Um die soziale Komponente aufrechtzuerhalten, empfiehlt die Wissenschaft, einen virtuellen Wasserspender einzurichten. In Großraumbüros ist der Wasserspender meist der Ort des informellen Austauschs zwischen Kollegen. Er könnte im Homeoffice zum Beispiel über Videoschalten erhalten bleiben, damit sich Arbeitnehmer nicht isoliert fühlen oder vereinsamen. Das ist tatsächlich eine reale Gefahr in der derzeitigen Krise. Bisher gab es die Empfehlung, Homeoffice moderat einzusetzen. Das heißt, an bis zu zwei Tagen pro Woche. Dieses Modell sorgt für eine hohe Arbeitszufriedenheit und Produktivität. Jetzt haben wir hingegen eine Extremform von Homeoffice. Das muss gut gemanagt werden – von Vorgesetzten wie Mitarbeitern.
Was heißt das konkret?
Es ist wichtig, klar zu definieren, was erreichbare Arbeitsziele pro Tag sind. Wenn das nicht geschieht bzw. unstrukturiert abläuft, laufen wir Gefahr, kollektiv in eine depressive Stimmung zu verfallen. Vorgesetzte können mit gutem Beispiel vorangehen und für Erfolgserlebnisse sorgen. Das heißt, dass sie Aufgaben verteilen, die konkret, im positiven Sinne herausfordernd, aber auch realistisch zu erledigen sind. Oder dass sie gute Arbeitsleistungen auch mal positiv bestätigen.
Gesellschaftlich bietet das Thema Homeoffice auch Sprengstoff – zwischen jenen Berufsgruppen, die zu Hause arbeiten können, und denen, die dazu nicht die Möglichkeit haben. Wie schätzen Sie das Spaltpotenzial ein?
Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine Neiddebatte. In dieser Extremsituation sind Krankenpfleger, Lkw-Fahrer und Supermarktkassierer genauso gefragt wie Menschen, die zu Hause arbeiten, um das Ansteckungsrisiko zu mindern. Das Verhältnis zwischen beiden Gruppen ist jedoch unausgeglichen: Vor der Corona-Krise arbeitete nur etwa jeder zehnte Arbeitnehmer regelmäßig im Homeoffice, das heißt an bis zu zwei Tagen. Ungefähr 30 bis 40 Prozent aller Arbeitgeber erlauben Homeoffice-Regelungen überhaupt. Das könnte sich nun ändern. Bis zu drei Viertel aller Beschäftigten können sich vorstellen, öfter zu Hause zu arbeiten. Wichtig wäre, nicht die Ungerechtigkeit zu fokussieren, sondern die Corona-Krise als gemeinsame Aufgabe zu begreifen.
Hannes Zacher forscht an der Universität Leipzig zu Stress, Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz.
Das Gespräch führte Melanie Schröder.
Über das Coronavirus informieren wir Sie laufend aktuell in unserem Newsblog.