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Arbeitskampf und Alltagskrampf

Erzieherinnen und Straßenbahnfahrer fordern mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen – das hat Konsequenzen.

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© André Wirsig

Von Peter Hilbert

Gestern Morgen am Schützenplatz. Die Sonne kommt gerade hinterm Volkshaus hervor. Raimunde Dézsi steht als eine der Ersten hier. Für die Horterzieherin eine Ehrensache, dass sie bei der Kundgebung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dabei ist. Schließlich sollen mit dem Warnstreik Tarif-Forderungen durchgesetzt werden, die die 56-jährige Briesnitzerin für völlig berechtigt hält. Verdi verlangt unter anderem ein Lohnplus von 100 Euro und zusätzlich 3,5 Prozent sowie bessere Arbeitsbedingungen. Außerdem sollen die Ausbildungsvergütung um 100 Euro angehoben und die Lehrlinge unbefristet übernommen werden, fordert die Gewerkschaft.

Thomas Hinz hatte gehofft, dass trotz der Streik-Ankündigung doch noch eine Bahn fährt. Er wartete aber vergeblich am Pirnaischen Platz. 150 Straßenbahnen und 100 Busse blieben gestern Morgen in den Depots.
Thomas Hinz hatte gehofft, dass trotz der Streik-Ankündigung doch noch eine Bahn fährt. Er wartete aber vergeblich am Pirnaischen Platz. 150 Straßenbahnen und 100 Busse blieben gestern Morgen in den Depots. © André Wirsig

„Ich bin mit Leib und Seele Erzieherin. Ich liebe meinen Beruf“, sagt Raimunde Dézsi. In dem arbeitet die Dresdnerin seit ihrer Jugend. Viele Jahre ist die Fachfrau schon im Hort der 63. Grundschule in Blasewitz tätig. Dort beteiligen sich auch alle 17 Kolleginnen an dem Warnstreik, sodass die Einrichtung gestern geschlossen war. In ganz Dresden blieben 71 der 154 kommunalen Kitas zu, teilt die Stadt mit. Von den anderen waren 47 nur teilweise und weitere neun als Noteinrichtung geöffnet.

„Ich verdiene bei meinen vielen Dienstjahren zwar nicht schlecht. Mir geht es aber vor allem um die jungen Leute“, so Erzieherin Dézsi. Die würden mit einem Grundgehalt anfangen, das dieser anspruchsvollen Tätigkeit nicht angemessen sei. Zu den Jungen zählt auch ihre Kollegin Jana Thomas, die gleich neben ihr am Schützenplatz steht. Sie hat drei Jahre lang eine Fachschule absolviert und arbeitet seit 2012 im Blasewitzer Hort, erzählt die 25-jährige Dresdnerin. Monatlich bekomme sie bei 32 Arbeitsstunden in der Woche rund 1 200 Euro netto. „Für mich reicht es zwar“, sagt die junge Erzieherin. „Es würde aber eng, wenn ich eine Familie mit Kind hätte. Deshalb wäre es am Ende schön, wenn mehr rausspringt.“

Ihrer erfahrenen Kollegin Raimunde Dézsi geht es jedoch auch um deutlich bessere Arbeitsbedingungen. „Es ist traurig, dass Horte das fünfte Rad am Wagen sind“, kritisiert sie. Im Hort müsse sich eine Erzieherin um 20 Kinder kümmern – offiziell. „Wir arbeiten aber alle mit bis zu 25 Kindern“, schildert sie die Praxis.

Fahrgäste warten vergeblich

„Wenn man sagt, Kinder sind unsere Zukunft, darf es keine Worthülse sein“, betont sie. Deshalb müsse sich was ändern – sagt Raimunde Dézsi, bläst in ihre Trillerpfeife und zieht mit den 5.000 anderen Dresdner Teilnehmern zur zentralen Streikkundgebung zum Postplatz. Dorthin kamen weitere 7.000 Gewerkschafter aus Sachsen, resümiert der Dresdner Verdi-Bezirksgeschäftsführer Frank Fischer. „Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind kampfbereit“, sagt er. „Solange sich unsere Bundestagsabgeordneten eine zehnprozentige Diätenerhöhung von 830 Euro genehmigen, halte ich unsere Forderungen nicht für überzogen.“

Allerdings haben nicht alle Dresdner Verständnis für den Warnstreik. Das zeigt auch eine Internet-Abstimmung, an der sich 283 SZ-Leser beteiligten. Knapp 52 Prozent von ihnen halten die Verdi-Aktion nicht für richtig, weil sie nur die Familien trifft. 47 Prozent der Teilnehmer bestätigten jedoch die Antwort „Ja! Erzieher haben mehr Geld verdient“. Der kleine Rest war unentschlossen. Eltern sind auf den Warnstreik aber besser vorbereitet gewesen als in der vergangenen Woche, schätzt Sozialbürgermeister Martin Seidel (parteilos) ein. „Ich denke, daran hat die offenere und frühzeitige Informationspolitik der Gewerkschaften einen großen Anteil“, sagt er.

Zu den Streik-Kritikern zählte gestern Morgen auch Thomas Hinz. Denn der 41-jährige Altstädter wollte mit der Straßenbahn zur Arbeit nach Striesen. Der Monteur hatte zwar mitbekommen, dass die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) eine Stilllegung aller Strecken wegen des Streiks angekündigt hatten. 150 Straßenbahnen und 100 Busse blieben in den Depots. Dennoch ging er morgens zur Haltestelle am Pirnaischen Platz – und wartete eine Stunde vergeblich. „Ich zahle 47,40 Euro für meine Abo-Monatskarte. Da sehe ich nicht ein, dass hier noch gestreikt wird“, sagt er. Viele Fahrgäste hatten sich hingegen nach der DVB-Vorwarnung auf den Streik eingestellt. So standen gegen 6.30 Uhr entlang der Buslinie 63 zwischen Pillnitz und Körnerplatz nur an zwei Haltestellen ein bis zwei Wartende.

Den Taxi-Fahrern bescherte der Streik viele zusätzliche Aufträge. „Wir sind hart an die Leistungsgrenze gekommen“, sagt Henry Roßberg, Vorstand der Dresdner Taxigenossenschaft, die knapp 500 Autos hat. „Sie waren fast pausenlos ausgebucht.“ Das Taxi-Telefon habe durchweg geklingelt. Allerdings kann sich Roßberg darüber nicht nur freuen. Für das Geschäft sei der Warnstreik zwar gut gewesen. „Es ist aber eine Unverschämtheit, was die Gewerkschaft hier mit den Leuten gemacht hat“, kritisiert der Taxi-Chef. Der Streik werde auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen. Kinder kämen nicht zur Schule, da Bus und Bahn nicht fahren. Wieder andere stünden vor verschlossenen Kitas. „Diese Art und Weise finde ich unmöglich.“

Auf Marienbrücke geht nichts mehr

Ab 8 Uhr rollten Busse und Bahnen aus den Depots. „Etwa ab 9.30 Uhr waren die meisten Linien wieder fahrplantreu unterwegs“, so DVB-Sprecher Falk Lösch. Etwas später geriet allerdings der Verkehr rings um die Altstadt ins Stocken. Denn die Verdi-Demonstranten hatten sich vom Schützenplatz übers Ostra- zum Terrassenufer in Bewegung gesetzt – und damit einige Straßen blockiert. Was vor allem auf dem 26er-Ring für lange Staus sorgte. So ging auf der Marien- und der Carolabrücke zeitweise nichts mehr.

Vom Streik betroffen waren auch Geschäftsleute, die von Dresden nach Frankfurt fliegen wollten. Die Lufthansa hatte die acht morgendlichen Flüge gestrichen, da das Frankfurter Bodenpersonal streikte.

Für Erzieherin Raimunde Dézsi war der Tag einfach nur „großartig“. Auch wenn sie morgens wegen des Bahnstreiks eine Dreiviertelstunde zu Fuß in die Stadt laufen musste. „Das Großartigste war der unendlich lange Zug zum Postplatz. Das gibt mir das gute Gefühl, etwas mit bewegen zu können“, resümiert sie.