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Arme-Leute-Essen mit Pfiff

Die SZ stellt ein traditionelles erzgebirgisches Weihnachtsessen vor und verrät, warum immer Linsen im Hause sein sollten.

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© Egbert Kamprath

Von Mandy Schaks

Osterzgebirge. Als sich Anke Eichler vom Tourismusverband Erzgebirge zum ersten Mal näher mit dem Neunerlei oder – wie es in Mundart heißt – Neinerlaa beschäftigte, stellte sich ihr eine Frage: Wer soll denn die neun verschiedenen Speisen, die zum Gericht gehören, alle essen? Doch so schlimm ist das gar nicht, stellte sie fest. Vor allem, wenn man die Hinweise beachtet, die über Jahrzehnte von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Nur leider sind diese in der Neuzeit in Vergessenheit geraten.

Der Tourismusverband begab sich deshalb mit Professor Gotthard B. Schicker auf Spurensuche. So weiß nun auch Anke Eichler von einem gewissen Dr. Moritz Spieß. Er war wohl Schulrat in Annaberg und hat sich seinerzeit auf Wanderungen im Erzgebirge umgehört. Was er zum Neinerlei erfahren hat, schrieb er 1862 auf. Und die sogenannten Maßregeln, die er aufstellte, decken sich mit Untersuchungen, die in verschiedenen Erzgebirgsorten 1989/91 gemacht wurden. Demnach sollen die aufgetischten Portionen gar nicht komplett verputzt werden. Und darum rankt sich auch wieder viel Mystik.

Mindestens drei Löffel voll sollten von jeder der neun unterschiedlichen Speisen verzehrt, aber nicht alle Portionen aufgegessen werden. Bleibt etwas auf dem Teller oder in der Schüssel übrig, so der Glaube, hat man im nächsten Jahr immer eine volle Küche. „Dann ist das Essen auch nicht üppig“, sagt Frau Eichler. Und wenn sie sich so die einzelnen Zutaten betrachtet, kommt sie zu dem Schluss: „Das Neunerlei ist nicht zu schwer und nicht zu fettig.“

Starten kann übrigens jeder nach seinem Geschmack. Oft aber geht es mit einer Suppe los. Das kann auch eine Fischsuppe sein, beeinflusst von den Traditionen aus dem böhmischen Erzgebirge. Dort wird zum Heiligabend meistens Fisch gegessen, weiß Anke Eichler. Die deutschen Aussiedler brachten diese Gepflogenheiten 1945/46 mit, sodass sie dann hierzulande ins Neunerlei eine Fischsuppe integrierten. Sonst wird eher eine Linsensuppe serviert. Für das Rezept, das Anke Eichler zusammengestellt hat, braucht sie etwa 30 Minuten. Und sie hat für Leute, die nie Zeit haben, noch einen Tipp: „Wenn es etwas schneller gehen soll, können die Linsen vorher eingeweicht werden.“ Wer mit der Linsensuppe nichts anfangen kann, der darf vielleicht auch etwas mutiger sein und es mit einem Linsensalat versuchen. Für wen auch das nichts ist, der sollte wenigstens darauf achten, dass Linsen im Hause sind. Wie bei allen anderen Speisen vom Neunerlei ist damit eine bestimmte Bedeutung verbunden. Linsen sollen für körperliches Wachstum sorgen und für reichlich Kleingeld im kommenden Jahr.