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Corona: "Auch Pfarrer müssen manchmal hoffen"

Priester Stefan Hippler erlebt die Pandemie in den Elendsvierteln von Kapstadt und hat mit bitterem Hunger zu tun. Doch die Dresdner trifft die Krise härter, findet er.

Von Nadja Laske
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Pfarrer Stefan Hippler (r.) mit einem früheren Mitarbeiter des Hope-Cape-Town-Projektes im Armenviertel Blikkiesdorp.
Pfarrer Stefan Hippler (r.) mit einem früheren Mitarbeiter des Hope-Cape-Town-Projektes im Armenviertel Blikkiesdorp. © Peter Hilbert

Dresden/Kapstadt. Jeden Herbst strömen Hunderte Gäste an einen schönen Ort - meist ins Dresdner Schauspielhaus - und feiern dort im feinen Zwirn mit kunstvoller Unterhaltung die Hope Gala. Dabei zahlen sie durch den Kauf ihrer Tickets und Tombolalose sowie zusätzlichen Spenden viel Geld in eine Spendenkasse ein. Im vergangenen Jahr brachte die 14. Hope Gala 142.000 Euro zugunsten des Projektes Hope Cape Town. Es kümmert sich in den Townships rund um Kapstadt um HIV-infizierte Kinder und ihre Familien. Welche Folgen hat es, wenn Corona die Benefizgala am 31. Oktober verhindert und aus Dresden keine solch mächtige Summe nach Südafrika fließt? Womit ringt der Leiter des Hilfsprojektes, Stefan Hippler, am anderen Ende der Welt derzeit überhaupt? Und was sagt er inmitten des größtes Elends zur Verzweiflung in Deutschland? Mit der SZ sprach der katholischen Priester per Internettelefonie über schockierende Zustände und erstaunliche Ansichten.

Stefan Hippler, die Spenden aus Dresden finanzieren das Projekt Hope Cape Town in Kapstadt maßgeblich. Fürchten sie um dessen Fortbestand?

Viel mehr sorge ich mich im Moment um das Überleben der Menschen in den Townships überhaupt. Wir haben einen der strengsten Lockdowns weltweit. Die Ausgangssperre ist so hart, dass die Bewohner nicht nur nirgendwo Geld verdienen können, sondern auch keine Möglichkeit haben, etwas einzukaufen. Die Leute dürfen sich nur in einem engen Radius um ihre Hütte bewegen. Das Einzige, was man auf den Straßen sieht, ist Militär und Polizei, und die gehen brutal gegen alle vor, die sich nicht an die Regelungen halten.

Wo sind sie gerade und wie arbeiten Sie unter diesen Umständen?

Ich bin in meinem Haus und hatte heute schon drei Videokonferenzen mit den Mitarbeitern des Projektes. Sie dürfen sich draußen bewegen, aber wir halten ihre Wege so kurz wie möglich, weil die Lage auch für sie immer gefährlicher wird. Um die schlimmste Not zu lindern, betreiben wir eine Armenküche, in der wir jeden Tag zu zwei Mahlzeiten zwischen 600 und 1.000 Kinder und Erwachsene versorgen. Der Hunger und die Verzweiflung sind so groß, dass immer mehr Leute nicht vor Diebstahl und Plünderungen zurückschrecken. Deshalb wechseln wir zum Beispiel regelmäßig die Autos, mit denen wir in die Townships fahren und Nahrungsmittel zur Küche bringen - vor Angst, wir könnten überfallen und ausgeraubt werden.

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Was tut die Regierung gegen diese Folgen der Abriegelung?

Nichts. Der Staat versagt völlig. Das geht so: Das Sozialministerium fragt bei uns an, wie viele Menschen beispielsweise in Blikkiesdorp bedürftig sind. Blikkiesdorp gehört zur Gemeinde Delft und ist ein Armenviertel, das 2007 von der Stadt Kapstadt errichtet wurde, als Ausweichlager für Menschen, die beispielsweise in Vierteln gewohnt haben, die man für die Bauten zur Fifa-Weltmeisterschaft 2010 brauchte. Es besteht aus 1.600 Wellblechhütten, die sind drei mal sechs Meter groß, haben einen Raum, und es leben bis zu zehn Leute darin. Wir erstellen also Listen mit den Angaben zu den Betroffenen. Nachdem wochenlang nichts passiert, sollen wir von jedem einzelnen Bedürftigen die Telefonnummer übermitteln, damit die Behörde bei ihm nachfragen und die Angaben überprüfen kann. Wir sind in der fünften Lockdown-Woche, und es hat noch niemand ein Essen-Paket bekommen. Das ist katastrophal. Würden wir die Menschen nicht mit unserer Küche versorgen, wir hätten Hungertote.

Wie steht es um die Zahlen der Corona-Infizierten?

Aktuell haben wir 4.793 bestätigte Fälle in Südafrika. 90 Menschen sind an den Folgen der Viruserkrankung gestorben. Wir erwarten eine hohe Durchseuchung der Bevölkerung, die vor allem in den Townships nicht wirklich Abstand halten kann, so eng wie die Leute zusammenleben. Es benutzen etwa 50 Menschen eine Toilette und eine Waschgelegenheit. Einerseits hilft es etwas, dass die Südafrikaner im Schnitt sehr jung und deshalb weniger gefährdet sind. Andererseits haben wir ein großes Problem mit Lungentuberkulose. Das wiederum ist im Zusammenhang mit Corona extrem gefährlich.

Der Kontinent hat in der Vergangenheit verheerende Pandemien erlebt. Was macht das mit den Menschen in der heutigen Situation?

Ich sage mal: "Wir" Afrikaner sind einiges gewöhnt. Die Menschen hier haben Erfahrung mit schlimmen Infektionskrankheiten. Sie fürchten Corona viel weniger, als die Zukunft. Nicht zu wissen, wovon sie morgen leben sollen, das beschäftigt sie deutlich mehr. Außerdem: Das große Thema hier ist nach wie vor HIV und Aids. Hope Cape Town hat sich den Kampf dagegen zur Aufgabe gemacht.  

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Die Arbeit des Projektes finanziert sich überwiegend aus den Dresdner Spenden. Wie sehen Sie die Zukunft von Hope Cape Town, wenn die Zuwendungen in diesem Jahr ausbleiben sollten?

Wir erhalten dank Hope Gala jedes Jahr 150.000 bis 200.000 Euro aus Dresden. Damit finanzieren wir die Stellen von drei Ärzten, die auf unserer Krankenstation "Itemba" im städtischen Tygerberg-Hospital tätig sind. Außerdem brauchen wir das Geld für die Ausbildung und Bezahlung unserer sogenannten Gesundheitsarbeiter in den Townships. Dank der regelmäßigen Spenden konnten wir über die Jahre Rücklagen bilden, die uns jetzt durch die Krisenzeit helfen. Ich denke, wir werden überleben. Auch Pfarrer müssen manchmal hoffen. Große Sorgen mache ich mir indes um die Dresdner, die uns so freigebig und großherzig all die Zeit unterstützt haben.

Im Angesicht von Hunger und Gewalt sorgen Sie sich um Menschen im Sozialstaat Deutschland? Warum das?

Ich bin inzwischen mit so vielen Menschen in Dresden und ganz Deutschland bekannt und befreundet und weiß sehr zu schätzen, was sie für uns getan haben. Es tut mir weh zu hören und zu lesen, wie sie jetzt um alles bangen, was sie mühevoll aufgebaut haben. Diese Ängste sind existenziell, auch in Deutschland. Selbst wenn sie nicht verhungern werden - sie durchleiden ein Trauma. Ich möchte ihnen sagen, dass wir größtes Verständnis dafür haben, wenn sie sich jetzt erst einmal um sich selbst kümmern müssen. Umso mehr bewegt es mich, dass auf einen Facebook-Aufruf der Hope-Gala-Initiatorin Viola Klein jüngst trotzdem 25.000 Euro zusammengekommen sind, Geld, das uns sehr hilft, Essen zu kaufen und zu kochen. Denn die Hungernden werden ständig mehr. 

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