Von Miriam Schönbach
Eisig weht der Wind durch die Bautzener Ortenburg und schießt mit frostigen Stecknadeln auf die rotgefrorenen Hände. Doch die unangenehmen Temperaturen lassen Uwe Konjen kalt. In drei Meter Höhe steht er auf der Leiter und wirft einen Blick auf den steinernen Engel mit dem Wappen des Sigismund Jagiello (1467–1546). Nach sechsmonatiger Restaurierung ist das Monument nun wieder zurück an seinem Platz in der Mauer des Schlosses. Für den Einbau des 250-Kilogramm-Schwergewichts in der Tordurchfahrt des Matthiasturms braucht es allerdings Fingerspitzengefühl.
Deshalb brachte sich der Bautzener Restaurator Unterstützung mit. Lutz Spieker und Mark Grunewalde halten den Wappenstein, während Uwe Konjen ebenfalls das Gerüst betritt. „Lasst bitte nicht los. Der Stein steht noch nicht sicher“, sagt er den Helfern und greift nach einer Wasserwaage. Rechts muss das Relief noch ein bisschen höher. Zuerst aber schneidet er ein Bleiblech zurecht. Diese Barriere zwischen Mauer und Kunstwerk soll helfen, dauerhaft die Nässe aus dem Sandstein fernzuhalten. Ausgeschwemmte Salze aus dem Beton der Ortenburg hatten ihm zugesetzt.
Angebracht wurde der Wappenstein höchstwahrscheinlich 1504 anlässlich der Ernennung Sigismund Jagiello zum Landvogt in der Oberlausitz. Sein älterer Bruder, der böhmische König Wladislaw II., hatte ihn zu seinem Stellvertreter im Landstrich eingesetzt, der seinerzeit als „Manövriermasse im politischen Ränkespiel“ galt. Beide Herren stammen aus dem Geschlecht der Jagiellonen. Diese Dynastie stammt ursprünglich aus Litauen. Mit dem kleinen baltischen Staat von heute hat dieses Land im ausgehenden 14. Jahrhundert nichts gemein. Stattdessen handelt es sich um ein riesiges Reich, zu dem Weißrussland, Teile der Ukraine und Russlands gehören.
Durch taktische Familienpolitik und Königswahlen schafft das Fürstenhaus den Aufstieg auf den böhmischen und ungarischen Thron. In seiner Blütezeit reicht das jagiellonische Imperium von der Adria bis an die Ostsee. Mittendrin liegen Bautzen und die anderen Sechs-Städte in der Oberlausitz. Dieser Region bringen die Jagiellonen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Die Bautzener allerdings sind empört. Sie stellen sich der Überlieferung nach vor den Turm mit dem hochverehrten ungarischen König Matthias Corvinus und demonstrieren gegen den ersten polnischen Statthalter. Trotz des Widerstands übernimmt Sigismund Jagiello am 30. November 1504 seine Amtsgeschäfte.
In besagter Tordurchfahrt beobachten während des Einbaus des Jagiello-Steins Dietmar Stange und sein Sohn Peter die Millimeterarbeit. Ihrem Engagement verdankt das Monument seine Wiederherstellung. 8 000 Euro kostet ihrem Unternehmen, der Agora Lausitz GmbH, die Begeisterung für die Bautzener Geschichte. Dietmar Stange klettert auf die Leiter. Oben fädelt Uwe Konjen gerade die Bleischürze hinter den Wappenstein. Wieder müssen die zwei Helfer den Stein gut festhalten.
Der Restaurator schiebt die biegsame Metallplatte Stück für Stück in den kaum einsehbaren Zwischenraum. „Wir müssen alles machen, damit sich das Wasser aus den gut verputzten Mauern nicht wieder seinen Weg durch den porösen Sandstein sucht“, sagt der Fachmann. Um die Salze aus dem Relief zu bekommen, lag es mehrere Monate unter Zellstoffkompressen in Wasserbädern. So konnte Uwe Konjen den Engel und das Schild mit polnischem Adler und Reiter vorm Zerfall retten. Erst dann begann für den Restaurator die anspruchsvolle Feinarbeit in der Werkstatt.
Das Bleiblech sitzt perfekt. Mit einer Metallschere schneidet Uwe Konjen die überstehenden Reste am Sandstein ab. Danach muss das Monument noch den richtigen Stand bekommen. Vorsichtig heben Lutz Spieker und Mark Grunewalde mit einem Kuhfuß das über 500 Jahre alte Denkmal an. Mit einem Block aus Blei bringt Uwe Konjen seinen Schützling in die Waagerechte. Jetzt lassen alle los. Der kalte Wind weht über die erhitzten Gesichter.
Dietmar Stange indes freut sich wieder über festen Boden unter den Füßen. „Ich habe den Stein früher gar nicht beachtet, wusste nichts von Bautzens jagiellonische Zeit. Erst Kunsthistoriker Kai Wenzel hat mich auf diese Besonderheit aufmerksam gemacht“, sagt er. Nun suchen Vater und Sohn Nachahmer. Sie wollen Privatpersonen oder auch kleine Mittelständler ermutigen, ihr Geld in ähnliche Projekte vor der Haustür zu stecken. Ein bisschen stolz sind sie auch, dass mit ihrer Hilfe Sigismund Jagiello auf die Ortenburg zurückkehrt.
Selbiger kehrt nämlich Bautzen schon nach zwei Jahren den Rücken. Nach dem plötzlichen Tod seines Bruders erhält er 1506 in der Krakauer Wawel-Kathedrale die Krone für das polnisch-litauischen Doppelreich und steigt damit zu einem der mächtigsten Regenten Mitteleuropas auf. In Polen ziert sein Konterfei die 200 Z³oty-Note, in Bautzen erinnert nun der Wappenstein wieder an den „alten“ Sigismund.