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Auf der Kirnitzsch wird wieder geschippert

Hinterhermsdorf

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Für Sven Lindner ist die 130. Saison auf der Oberen Schleuse die erste. Gestern früh fuhr er seine ersten zwei Gäste über die auf 700 Metern angestaute Kirnitzsch. Im Laufe des Tages wurden es immer mehr Gäste, die er und seine vier Kollegen übers Wasser schipperten. Bei Sven Lindner ließ die Aufregung nach, dafür wuchs der Muskelkater. Und heute werden es noch mehr Gäste und noch mehr Muskelkater, prophezeit Kahnfahrer Gerhard Hippe. Peter Fritzsche bringt das nicht aus der Ruhe, er ist seit fast 27 Jahren dabei. Dass diese Saison eine besondere ist, wissen die insgesamt fünf Kahnfahrer. Schließlich sollen sie im Jubiläumsjahr mehr Leute fahren. 88000 wie 1983 werden es sicher nicht. Aber auf jeden Fall mehr als 1892. Damals erfreuten sich 10000 Sommerfrischler an dem Ausflug, den sie dem Hinterhermsdorfer Oberförster Hermann Schlegel und dem Vaterländischen Gebirgsverein Saxonia zu verdanken hatten. Am 25.Mai 1879 wurde der erste Kahn zu Wasser gelassen. Schon ein Jahr später kam ein zweiter dazu. Dieses Jahr sind fünf Kähne unterwegs. Der letzte alte aus DDR-Zeiten ist schneller und fasst mehr Leute als die neuen. Die Schlange am Einstieg wächst. Lisa ruft aufgeregt: „Ich will mit dem Schiff fahren.“ Vanessa und Manuel prüfen die Wassertemperatur. „Zum Baden noch zu kalt“, sagt Manuel.

Kassiererin fehlt

Peter Fritzsche kommt gerade mit einem leeren Kahn wieder von oben zurück. Die meisten Leute fahren nur hoch. Dem Ehepaar Aschenbrand aus Göttingen hat Gerhard Hippe es sogar so empfohlen. „Dann können sie noch eine schöne Runde laufen.“ Die Urlauber sind glücklich. Das ist Service, freuen sie sich. Die, die an der Kasse anstehen müssen, werden ungeduldig. Ein kleiner Zettel erklärt, warum sie warten müssen. Denn alle Kahnfahrer sind unterwegs. Immer mal springt einer ins Kassenhäuschen und kassiert die nächste Fuhre ab. Es fehlt jemand, der die Kasse übernimmt. Die meisten sehen es gelassen. Es ist Ostern, wir haben Zeit, sagen sie. Doch die Kahnfahrer ärgert es, sie könnten mehr schaffen. Gerhard Hippe hat seinen nächsten Kahn voll geladen. „Hände rein, die brauchen sie noch zum Schwimmen“ sind Sätze, die zu allgemeiner Heiterkeit beitragen. „Stehen können sie hier überall im Wasser, nur Luft bekommen sie nicht überall“ ist ein anderer.

Die Luft wird auch in der Rindenhütte knapp. Hier brasselt das Holz im Ofen. Strom gibt es keinen, deshalb fehlen auch Mikrowelle und Kühlschrank. Das Bier ist trotzdem kalt und die Bockwurst heiß. Kurz nach 11 Uhr ruft Grit Hausmann „oben“ beim Parkplatz an der Buchenparkhalle an. „Wie siehts aus Micha“, fragt sie. „Hinten und vorn voll, Donnerwetter.“ Aber bange wird der Wirtin nicht. In der Buchenparkhalle und zu Hause lagert der Nachschub. Und vom Fichtelscheißer, dem Bimbelgrimmer und dem Schleusengeist hat sie genug in der Rindenhütte. Das sind kleine Liköre, die Grit Hausmann als die Renner bezeichnet. Wer zu viel getrunken hat, hat seit vorigem Jahr auch kein Problem mehr. Die einstigen Herzelhäusel wurden durch einen Toilettenneubau ersetzt. Seine Architektur lässt einige den Kopf schütteln. Doch wer ein dringendes Bedürfnis hat, dem ist das egal. Die, die vor 130 Jahren in die Klamm hinunter stiegen, mussten ins Gebüsch gehen.

Auch die Kahnfahrer haben gestern kaum Zeit, um mal schnell zu verschwinden. Als sie gegen 17 Uhr ihre Kähne festmachen, wissen sie, was sie getan haben. In Armen und Beinen brummt es. Aber immer noch besser als sehnsüchtig nach Gästen Ausschau zu halten. Doch die Saison hat für Sven Lindner und die anderen erst begonnen…