Von Nicole Preuß
Volker Böhme kann sich noch gut an die Geräuschkulisse in Leipzig erinnern. Dort lebten er, seine Frau und die drei Kinder zwar in einem wunderschönen alten Haus. Aber die Autobahn war nur 500 Meter entfernt. „Den Lärm können Sie sich gar nicht vorstellen“, sagt er. Und hier in Kleinwelka: Von den hohen Kastanien zwitschern ein paar Vögel ein Abendlied, ein Junge grüßt und steckt die Zeitung in den Briefschlitz der Tür. Idylle pur. Was will man auch erwarten von einer Straße, die Friedhofsweg heißt und direkt neben dem Gottesacker liegt.
Familie Böhme lebt nun seit fast vier Jahren in ihrem Haus in Kleinwelka. Sie hatte monatelang nach ihrem Traumhaus gesucht. Und sich dann auch wegen der Umgebung, wegen Kleinwelka, in ihr neues Zuhause verliebt. Ihr Haus steht am Rand des Brüdergemeinde-Ensembles. Ein paar Schritte weiter ist das Zentrum des Ortes, der Kirchsaal. Das Gebäude sieht fast genauso aus wie der Schwesternbau in Herrnhut. 1758 wurde es gebaut, kurz nachdem sich die freikirchliche Gemeinde hier niedergelassen hatte. Rund um den Saal und den Zinzendorfplatz entstanden Knabenschule, Schwesternhaus, Pfarrhaus und einige andere Gebäude.
Das Haus der Familie Böhme war eigentlich mal das Gästehaus der Brüdergemeinde. Volker Böhme spricht von Diaspora-Haus. Hier übernachteten die Menschen, die von weiter her zum Gottesdienst kamen. Sie reisten Sonnabend an, blieben eine Nacht und fuhren dann wieder. Zwölf Zimmer gab es in dem Haus, hat man ihm erzählt. Heute ist daraus eine große Wohnung mit sechs Zimmern und einem kleinen Hof geworden.
Dort steht ein selbst gebautes Klettergerüst. Der zehnjährige Leonard steht als Erster darauf. Der Fotograf weist ihn ein. „Du gehst am besten ans Steuerrad, du bis der Steuermann.“ Leonard lässt sich das nicht zweimal sagen. Die sechsjährige Konstantina will in nichts nachstehen und klettert schnell nach. Judith, 8, folgt. Volker und Katrin Böhme schätzen vor allem, dass man Kinder hier auch einfach mal laufenlassen kann. „In der Stadt ist das nicht so ohne Weiteres möglich“, sagt Katrin Böhme. Dazu kommt natürlich die Ruhe. Und auch die Stadtnähe. In die Innenstadt braucht man mit dem Auto keine zehn Minuten. Und obwohl man die Autobahn nicht hört, ist man schnell da. Mal kurz nach Dresden oder Görlitz fahren? Kein Problem. Dazu haben sich in Kleinwelka noch relativ viele kleine Läden erhalten. Einen Friseur gibt es, einen Bäcker, einen Fleischer, ein kleines Geschenke- und Blumengeschäft. Ein Supermarkt kommt dazu, ein Getränkehandel, ein Zahnarzt, ein Altenheim und ein Kindergarten. „Eigentlich gibt es hier die komplette Grundversorgung“, sagt Katrin Böhme.
Dabei kommen sie eigentlich aus der Großstadt. Vor fünf Jahren zogen sie aus Leipzig wieder in die Region. Volker Böhme stammt aus Stiebitz, seine Frau aus der Nähe von Löbau. Hier konnten die Großeltern die junge Familie wieder leichter unterstützen. „Mit Kindern wird man auf einmal wieder hilfebedürftig.“ Katrin Böhme lacht. In Bautzen suchten sie eine passende Wohnung – und fanden nichts. „Mit drei Kindern ist das hier auch wirklich schwer“, sagt die Architektin. Deshalb mieteten sie sich nur eine Kompromiss-Wohnung und machten sich auf die Suche nach einem passenden Haus.
Sie fragten Makler, sie besichtigten Häuser. Doch das Richtige war nicht dabei. Deshalb gingen sie selbst auf Suche. „Wir fuhren mit offenen Augen durch Bautzen“, sagt Volker Böhme. Einziges Kriterium: Möglichst weit von der Autobahn entfernt. Das hatten sie leidvoll in Leipzig gelernt. Eines Tages war Katrin Böhme dann in Kleinwelka, um ihre Kinder hier im Kindergarten anzumelden. In der Kita hatte sie Plätze für die Drei bekommen, was nicht leicht war. Und dann fuhr sie an diesem Haus vorbei. Es war nur eine Ruine. Das Dach war zwar dicht, aber überall bröckelte es. 20 Jahre hatte es leer gestanden. Trotzdem dachte Katrin Böhme sofort, was für ein schönes Haus. Seitdem sind sie dran. Das Haus kauften sie von einem Liebhaber, der es vor dem Abriss gerettet hatte. Ein halbes Jahr dauerte die Sanierung. Im August feierten sie Richtfest, zu Weihnachten zogen sie ein. Schon während der Bauphase blieben immer wieder Kleinwelkaer stehen und fragten nach. „Wir haben hier sehr offene Herzen gefunden“, sagt Katrin Böhme.
Ihr Haus haben der Bauingenieur und die Architektin selbst geplant. Das Schwierigste war, das denkmalgeschützte Haus so zu sanieren, dass die Familie künftig wenig Energie verbraucht. Leichter war die Raumaufteilung. Da war sich das Paar auch schnell einig. Im Erdgeschoss ist eine große Wohnküche. Ein ovaler Familientisch steht darin, eine Küchenzeile, ein Ofen, ein Ledersofa, einige antike Möbel.
Böhmes haben sich eingelebt. Manchmal fahren sie alle zusammen in den Saurierpark. Der Freizeitpark ist auch ein Grund, weshalb Böhmes überall erzählen können, sie kommen aus Kleinwelka. „Die Ostdeutschen kennen den Ort alle“, sagt Volker Böhme. Doch auch darüber hinaus haben sie Anschluss gefunden. Sie feiern die Feste und Gottesdienste mit der Brüdergemeinde. Sie gehen zum Silvesterfeuerwerk und zum Wasserturmfest der Feuerwehr. „Kleinwelka hat ein ganz eigenes Flair“, sagt Katrin Böhme. Und Ruhe.