Von Juliane Richter
Egal ob Rumba, Salsa oder Cha-Cha-Cha, lateinamerikanisch muss es sein. „Eigentlich brauche ich zwei Frauen zum Tanzen, weil meine nicht so lange durchhält“, sagt Thomas Flämmig mit leuchtenden Augen. Doch statt seine Katja im Vierviertel-Takt durchs Wohnzimmer zu wirbeln, schiebt er sich in seinem Rollstuhl langsam vor und zurück. Die linke Hand liegt schlaff im Schoß, das Sprechen fällt ihm schwer. Thomas Flämmig raucht nicht, hat kein Übergewicht und auch keine Herz-Rhythmus-Störungen. Stattdessen hat er sich immer viel bewegt, am liebsten mit Dogge Bela. Und trotzdem hat der 50-Jährige am 22. Januar 2012 einen Schlaganfall erlitten. „Meine Frau dachte erst, ich kaspere mal wieder rum, als mir plötzlich das Essen aus dem Mund fiel.“

Katja Flämmig muss bei seinen Worten lachen, auch wenn ihr damals irgendwann nur noch zum Weinen zumute war. Nicht nur, dass ihr Mann einen besonders schweren Schlaganfall hatte, er hatte auch noch jede nur denkbare Komplikation. Noch heute zeugt die leicht deformierte rechte Kopfseite von jener schweren Operation, bei der ihm ein Stück der Schädeldecke entnommen werden musste. Erst Monate später konnte sie wieder eingesetzt werden. Vom Krankenbett der Uniklinik ging es für ihn zur Kur nach Bad Klosterlausnitz. Statt des „gewohnten 200-prozentigen Einsatzes“ bei der Arbeit als Elektromeister, kämpft Thomas Flämmig für einen Weg zurück ins Leben. Ein Jahr nach dem Schlaganfall hat er sich längst nicht mit den niederschmetternden Diagnosen abgefunden. „Ihr Mann wird für immer ein Pflegefall bleiben, haben sie zu mir gesagt“, erinnert sich seine Frau und schüttelt verärgert den Kopf. Aber die Flämmigs haben sich nicht mit dem Aufgeben abgefunden.
Während ihr Mann bei der Kur war, hat Katja Flämmig die Erdgeschoss-Wohnung ihres Hauses mit Familie und Freunden behindertengerecht ausgebaut. Gleichzeitig hat sie Fahrstunden genommen – trotz ihrer Angst, in der Stadt Auto fahren zu müssen. „Aber dann dachte ich, dass mir nichts mehr Angst machen kann als seine 14 Tage im Koma“, sagt Katja Flämmig. So wie sich die beiden den neuen Herausforderungen gestellt haben, so suchen sie jetzt nach neuen Aufgaben.
Ein Ziel hat sich dabei zu einer besonderen Herzensangelegenheit entwickelt: Das Ehepaar möchte gern eine Selbsthilfegruppe für junge Schlaganfallpatienten und deren Angehörige gründen. Behilflich ist ihnen dabei Uwe Helbig, der erste deutsche Schlaganfall-Lotse. „Als junge Schlaganfallpatienten werden alle zwischen 18 und 50 Jahren gezählt. Eben jene, die noch mitten im Leben stehen“, sagt Helbig, der für das Dresdner Universitäts-Schlaganfallcentrum arbeitet. Deren Zahl nehme spürbar zu. Ein Schlaganfall sei deshalb schon lange nicht mehr nur die Krankheit der Rentner. Laut Helbig werden in Dresden jährlich etwa 1.000 Menschen wegen eines Schlaganfalls behandelt. Doch in den beiden bestehenden Selbsthilfegruppen sind nur etwa um die 50 organisiert. „Wir wollen diesen beiden Gruppen keine Konkurrenz machen, sondern sie ergänzen. Vor allem, weil bei uns die Angehörigen mit dabei sein sollen“, sagt Katja Flämmig. Dem Ehepaar fehlt es, mit anderen über ihr Schicksal zu reden. Beide suchen Gleichgesinnte, die Ähnliches durchlebt haben – und die auch Mut machen, dass das Leben jetzt nicht vorbei sein muss. In den kommenden Monaten soll die Gruppe entstehen, ein Treffen der Stiftung deutscher Schlaganfallhilfe im April in Dresden soll weiteren Antrieb geben.
Thomas Flämmig knetet sich voller Vorfreude die gelähmte, linke Hand. „Es geht nur vorwärts und vorwärts“, sagt er mit einem spitzbübischen Lächeln. Der 50-Jährige hat noch viele Träume, die er in diesem Jahr umsetzen will. Neben der Selbsthilfegruppe hofft er, irgendwann stundenweise wieder arbeiten gehen zu können. Und auch die geliebten Freizeitaktivitäten will er fortsetzen. „Angeln wäre mal wieder schön. Und das Pilzesuchen fehlt mir auch.“ Am meisten aber hofft er, irgendwann wieder tanzen zu können. Hand in Hand mit seiner Katja.