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Auf Fingerspitzen durch Bautzens Altstadt

Blinde und Sehbehinderte wünschen sich ein tastbares Modell von Bautzen. Ein wichtiger Schritt ist jetzt geschafft.

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© Norbert Millauer

Von Miriam Schönbach

Auf Fingerspitzen lässt es sich wunderbar durch die Straßen der Bautzener Altstadt spazieren. Hier kommt ein Platz, dort entlang führt eine Gasse. Die Kirchen ragen weit in den Himmel, die Häuser reihen sich wie Perlen auf einer Kette entlang der Straßen. Tastbare Stadtmodelle gehören mittlerweile in vielen Städten Deutschlands zum touristischen Angebot. Seit dem Wochenende ist auch das Bautzener Projekt ein Stück. Die Tourist-Info übergab 1 350 Euro an den Blinden- und Sehbehinderten-Verband. Gesammelt wurde das Geld beim Bautzener Erlebnistag in diesem Frühjahr.

Damit fügt sich ein weiteres Puzzleteilchen zu dem knapp 27 000 Euro teuren Vorhaben. Denn bereits die beiden Bautzener Lionsclubs und die Leos – der Lions-Nachwuchs – haben ihre Unterstützung zugesagt. Außerdem beantragte der Blinden- und Sehbehindertenverband eine Förde-rung beim sächsischen Sozialministerium. Dazu kommen zahlreiche kleinere Spenden und die Einnahmen aus dem Verkauf von Kaffee und Kuchen am Stand des Verbands beim Bautzener Frühling. „Trotzdem fehlen immer noch um die 15 000 Euro“, sagt Christian Noack. Der Sachbearbeiter im Finanzamt erblindete mit 24 Jahren durch eine Sehnerventzündung. Er kümmert sich um das Projekt Stadtmodell.

Den Stein ins Rollen brachte im Februar 2013 eine Anfrage der Adventgemeinde aus der Nähe Hannovers. Sie erkundigte sich für eine Reisegruppe Sehbehinderter nach etwas „Tastbarem“ in Bautzen. Daraufhin entwickelte Jens-Michael Bierke von der Touristinformation gemeinsam mit dem Bautzener Blinden- und Sehbehindertenverband den Stadtrundgang „Bautzener Berührungspunkte“. Wenige Monate später besuchte Christian Noack seine Tochter in Wien. Zusammen erkundeten sie Schloss Schönbrunn. Plötzlich stand der Bautzener vor einem Bronze-Modell der einstigen Residenz der Kaiserin Maria Theresa. „Da gab es Wege, Bäume, Fensternischen zu erfühlen. Auf einmal begreift man die Dimensionen ganz anders. Ich war total aufgeregt“, erinnert sich Noack.

Schnell ist ihm klar, dass auch seine Heimatstadt so ein Stadtmodell braucht. Vorbilder gibt es reichlich. Eine der ersten Stadtansichten stand in Münster. Die positive Resonanz ermutigte weitere Städte nachzuziehen. So finden sich tastbare Bronzen nun zum Beispiel in Osnabrück, Braunschweig, Erfurt, Stralsund, München und Berlin. In Münster stehen inzwischen vier Bronzereliefs, die jeweils einen anderen Stadtteil zeigen.

In Bautzen kümmert sich seit Dezember 2013 ein Team aus Blinden und Sehbehinderten und Mitarbeitern der Touristinformation um das Thema. Aufgestellt werden soll das Modell auf dem Hauptmarkt im Maßstab von 1:5000. Dazu gibt es Erläuterungen zu Bürgerhäusern, Kirchen, Straßen und Plätzen in Normal- und Blindenschrift (Braille). Gefertigt werden die Modelle bei Egbert Broerken aus dem westfälischen Welver. Der Bildhauer hat sich auf die Arbeiten für Blinde spezialisiert. Für die Ausführung des Stadtmodells veranschlagt er ein Dreivierteljahr. Nach dem Fotografieren aller Gebäude und Häuserzeilen baut er ein maßstabgetreues architektonisches Modell. Es folgt ein Wachsmodell, aus dem der Bronzeguss entsteht.

Bis Ende des Jahres sollen nach Wünschen des Organisationsteams die Vorarbeiten abgeschlossen sein, damit man ab 2015 begeistert auf Fingerspitzen durch die Gassen und über die Dächer der Stadt Bautzen spazieren kann.

Spenden gehen an den Blinden-und Sehbehinderten-Verband Sachsen, Verwendungszweck: Spende tastbares Altstadtmodell Bautzen; IBAN: DE45 8555 0000 1002 0168 82; BIC: SOLADES1BAT