Auf in den Kampf, Komparsen!

Holger Kahl klappst sich auf beide Backen und schnippt dann mit dem Finger: „Konzentration einschalten!“ Konzentration ist wichtig. Eine Kampfszene ist wie ein Tanz. Kommt einer aus dem Takt, kann das ziemlich weh tun, auch wenn die Waffe aus Gummi ist. „Mein Messer wird dich fressen“, zischt Kahl, jetzt ein fieser Kiowa-Indianer, und attackiert Old Shatterhand. Ein Hauen und Stechen, Schlagen und Parieren, Aufspringen und Hinstürzen geht los. Für den Angreifer endet das fatal – der erste Todesfall, den Mister Shatterhand in „Winnetou I“ verursacht. Der grinst breit dazu: „Das war reine Notwehr.“

Noch anderthalb Stunden bis Vorstellungsbeginn. Doch im sandigen Kessel von Rathens Felsenbühne geht es schon hoch her. Man kämpft sich ein. Holger Kahl, dessen Stuntteam Awego fürs Grobe zuständig ist, nimmt Holger Thews alias Greenhorn Shatterhand ran. Auch wenn die Choreographie schon Jahre gilt: Sie muss immer neu justiert werden, sagt er – Schrittlängen, Distanzen, Abläufe. Wie es ist, wenn etwas schief geht, hat Holger Thews mal erlebt. Die Hacke eines Schurken traf ihn unterm Brustbein, erzählt er. Er sackte zusammen, blieb für Minuten außer Gefecht – zum Glück war es eine Probe.

Mit Thews hat Holger Kahl einen Profi vor den Fäusten. Ein echtes Handgemenge aber braucht mehr Personal: Kampfkomparsen. Menschen, die sich in ihrer Freizeit vor Publikum vermöbeln lassen, sind durchaus nicht leicht zu finden, sagt der Stuntman. Sportlichkeit, darstellerisches Geschick und Bühnenpräsenz müssen sich paaren. Er hatte schon Castings, wo er gar niemanden gebrauchen konnte. Die jüngste Sichtung aber, abgehalten im April am Radebeuler Stammhaus der Landesbühnen, war sehr ergiebig. Gleich fünf Bewerber wurden engagiert.
Einer von ihnen ist Christoph, 31 Jahre alt, aus Dresden. Noch sitzt er im T-Shirt neben der Saloontür. Später wird er Colt und einen bodenlangen Mantel tragen. Das allein macht schon Laune. „Wenn man diesen Mantel anzieht, ist das ein ganz anderes Gefühl“, sagt er. „Das macht irgendwas mit mir.“ Christoph hat Produktgestaltung studiert. Als Komparse mischt er schon jahrelang in der Semperoper mit. Er treibt viel Sport, macht Tai Chi und war auch mal im Judo. Ideale Voraussetzungen für ein Winnetou-Engagement.

Und da kommt auch schon der Chef-Indianer. Michael Berndt-Cananá, der den Apachenhäuptling mimt, holt Christoph zum Üben der Keilerei ab, die in Bild 5 passieren wird. Wenn die Indianer den Siedlertreck überfallen, legt der Apache Christoph mit hohem Wurf auf die Bretter. Die Aktion wird genau an der Stelle geprobt, wo sie später stattfindet. Das ist wichtig, sonst kommt bei dieser Massenszene alles durcheinander. Und außerdem? Große Bewegungen machen, sagt Christoph, die auch aus der Distanz gut zu sehen sind, und keine Angst haben, sondern durchziehen, „damit es realistisch aussieht“.
Es sieht realistisch aus. Winnetou kann zurück in die Maske. Holger Kahl freut sich. Christoph ist einer dieser Glücksfälle, auf die er bei jedem Casting hofft. Er hat Talent und bietet es auch an. Die Aktion mit dem Wurf würde der Stuntchef nicht jedem zutrauen. Grundsätzlich kann man zwar viel lernen auf diesem Gebiet. „Aber die Körperlichkeit ist entscheidend.“
Karola kommt. Anfang fünfzig, rotblondes Wuschelhaar. Mit ihrer 1200er BMW ist sie aus Pesterwitz hergedüst. Die Motorradkluft wird sie zuerst gegen Nadelstreifenhose, Weste und Melone eintauschen, und dann werden ihr noch pechschwarze Apachenhaare wachsen und Fransen an den Hosenbeinen. Sie freut sich drauf. Bühnenerfahrung hat sie beim Fasching gesammelt, hing auch schon mal als „schmückendes Beiwerk“ im Schauspielhaus beim Othello von der Decke. „Im Kostüm vor Leuten – das war schon immer meins.“

Dass Winnetou Mitspieler sucht, erfuhr Karola durch ihre Tochter. Die hatte ihr den Aufruf zum Casting aufs Handy geschickt. Dass es speziell um Kampfkomparsen ging, merkte Karola erst vor Ort. Bei den sportlichen Übungen schnitt sie nicht eben überragend ab. „Meine letzte Vorwärtsrolle war dreißig Jahre her.“ Ihr Selbstbewusstsein hat das nicht erschüttert.
„Karola ist eine spannende Frau“, findet Stuntman Kahl. Weil sie robust und entschlossen zu Werke geht. „Sie sieht einfach gut aus auf der Bühne.“ Nichts kann Kahl weniger gebrauchen, als verklemmte Charaktere. Karola nennt sich selbst die „Christel von der Post“, scherzhaft, weil sie schon seit 1982 bei der Post arbeitet. Die sprichwörtliche Lebhaftigkeit ihres Berufsstands besitzt sie ohne Zweifel. So kommt es, dass sie mit dem Birkenholzknüppel dem anstürmenden Winnetou Paroli bietet und Winnetous Vater, Häuptling Intschu-Tschuna, mit festem Griff gefangen nimmt.

Komparse sein ist, trotz der kleinen Rollen, ein anstrengender Job. Wer es nicht gewohnt ist, der kriegt schon mal das eine oder andere Wehwehchen, sagt Holger Kahl. Fuß, Knie, Rücken, „man darf das nicht unterschätzen.“ Gemessen am Aufwand sind die Gagen eher symbolisch. Sie liegen für Erwachsene meist zwischen 35 und 45 Euro je Vorstellung. Der eigentliche Lohn fließt ohnehin in einer anderen Währung. Bei Karola ist es die Begeisterung, die sie spürt, wenn sie auf der Bühne steht. Man muss sich seine Höhepunkte im Leben selber setzen, sagt sie, damit man nicht einrostet. Vor allem mag sie es, wenn die Schauspieler sie mit Handschlag begrüßen, wenn sie ihren Namen wissen, keinen Unterschied machen. Theater spielen geht nur gemeinsam, sagt sie, „nur wenn es alle wirklich wollen“.