Von Ulrike Keller
Neue Batterie, neues Glück. Thoralf Koß klappt das Visier seines Helmes herunter und gibt Gas. Endlich kann er wieder. Die Motorradsaison ist eröffnet. Dazu erklärt sie der Riesaer traditionell bereits am 1. März, seinem Geburtstag. Doch in diesem Jahr schob er seine Maschine nach einer Ehrenrunde im Schnee doch freiwillig wieder in die Garage. „Ich bin kein Verrückter“, sagt Koß. Denn der parteilose Stadtrat fährt nicht mal eben zum Supermarkt durch die Stadt. Als Gymnasiallehrer schrubbt er Kilometer. Einmal Riesa – Frankenberg und zurück. 150 Kilometer täglich. Die B 169 ist ihm so vertraut wie die Wege im Schulhaus.

Knapp 3 000 Motorradfans im Kreis
Koß gehört zu einem recht überschaubaren, aber konstant großen Kreis von Bikern im Landkreis Meißen: 2 820 Maschinen waren im vergangenen Jahr zugelassen. In den beiden Vorjahren hatte die Untere Straßenverkehrsbehörde rund zwanzig bis sechzig mehr verzeichnet. Die Zahl der Leichtkrafträder stieg zwischen 2010 und 2012 jährlich leicht an, auf 180 voriges Jahr. An dreirädrigen Motorrädern und Quads waren in der vergangenen Saison 177 registriert, einige weniger als 2011, doch rund 30 mehr als noch 2010.
„Man sieht alles viel schöner und intensiver“, schwärmt Thoralf Koß. „Weil man es riecht, weil man Teil der Natur ist.“ Bewusstes Erleben, das die Umwelt schont. Mit vier bis fünf Litern Sprit auf hundert Kilometer verbraucht der Ex-Grüne die Hälfte von dem, was er mit dem Auto verkurvt.
Koß gehört auch dem Netz der Sonntagsfahrer im Sächsischen Elbland an. Das organisiert Touren, unterstützt aber auch Veranstaltungen wie den Schloss-Triathlon Moritzburg am 8. und 9. Juni. Während der Fahrradetappe wird Thoralf Koß – wie schon vergangenes Jahr – einen Schiedsrichter chauffieren, der die Abstände und Überholvorgänge verfolgen muss. Es wird einer von Koß‘ Saison-Höhepunkten!
Schon als Jugendlicher zog es ihn in den Motorradsattel. Eine 250er MZ trieb er über den Asphalt, bis er 30 war. Dann kam der Punkt, an dem der Familienalltag die geräumige, wetterfeste Personen- und Güterbeförderung verlangte. Das Zweirad hatte Pause. Erst als er sich wegen Unstimmigkeiten mit Kollegium und Schulleitung vom Riesaer Heisenberg-Gymnasium versetzen ließ, verspürte er den Drang, sich dieses alte Stück Freiheit zurück zu erobern. Seine Eltern in Magdeburg stellten ihm die 75 PS starke BMW vor die Tür. Seither wirbt er – TK – per Kennzeichen für seine Heimatstadt MD. Mit der Zahlenfolge 88 erlaubt sich der frühere Ausländerbeauftragte einen kleinen Hieb fürs braune Lager: „Ich lasse mir von den Rechten keine Nummern wegnehmen!“
Sobald der lockere Typ mit den schulterlangen Haaren auf seine Maschine steigt, schaltet er in einen anderen Modus: „Ich bin hundert Prozent konzentriert“, sagt er. Denn ein Naturgesetz ruft er sich jedes Mal neu ins Bewusstsein: Ob er einen Fehler macht oder ein anderer oder ob irgendetwas Überraschendes geschieht: „Für mich ist es wahrscheinlich tödlich!“
Für mehr Sicherheit nach der langen Winterpause hat das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in der zurückliegenden Woche ein neues Projekt gestartet. Unter dem Motto „Sicher in den Motorradfrühling“ sieht es landesweit Sicherheitstrainings vor, organisiert von den örtlichen Verkehrswachten. Auf SZ-Anfrage teilte die Verkehrswacht Riesa-Großenhain mit, dass die „geringe personelle Ausstattung“ eine Umsetzung jedoch nicht zulässt. Den Kollegen in Meißen war das Projekt nicht bekannt.
Die Herausforderung zählt
Wenn Koß vom bewussten Fahren spricht, meint das nicht etwa Schleichen. 200 Sachen schafft sein Bike. Als „sehr erfahrener Fahrer“ holt er heraus, was zugelassen ist. Eine gute halbe Stunde an Zeit gewinnt er, wenn er zur Schule das Motorrad nimmt statt des Autos. Weshalb er das Unfallrisiko eingeht? Weil er die Herausforderung schätzt. „Autofahren unterliegt nicht im Entferntesten den Anforderungen des Motorradfahrens.“
Er weiß, wovon er spricht – das gesamte Winterhalbjahr nutzt er das komfortable Coupé. Und lässt es doch ganz gern wieder stehen. „Unser Bildungssystem ist wie Autofahren“, holt er aus. „Ein Einlullen der Bequemlichkeit, immer hinterher tuckern, ja nicht überholen.“ Aus seiner Sicht „verfehlt“. Er wünscht sich mehr Mut zum Ausweichen, wenn es nötig ist. Will junge Menschen prägen, die autonom denken und frei entscheiden, nicht nur mitmachen.
Mit dieser Deutlichkeit ist Koß immer wieder angeeckt. Daraus einen Hang zum Draufgängertum abzuleiten, zielt daneben: „Das erste Prinzip heißt Sicherheit!“ An Tagen, an denen er fährt, verzichtet er auf jeglichen Tropfen Alkohol. Auch bei schweißtreibenden 40 Grad Celsius trägt er pflichtbewusst seine gepolsterte Spezialkombi. Jacke und Hose verhindern im Fall schwerer Stürze bei hohen Geschwindigkeiten, dass sich der Stoff in die Haut einbrennt. Koß ist bislang maximal gerutscht mit seinem Motorrad, Schlimmeres nie. Vor allem, weil er es langsam anging, ist er überzeugt. Bevor er die ersten weiteren Strecken auf sich nahm, gewöhnte er sich auf kurzen, bekannten Abschnitten an seine BMW. „Eine Maschine ist wie eine Geliebte“, philosophiert er. „Man spürt, wenn man verschmilzt, eine Einheit wird. Dann weiß man genau, wie weit man sich zum Beispiel in die Kurve legen kann.“
Der Geliebten-Vergleich kommt wohl nicht von ungefähr. Seit Oktober ist Thoralf Koß neu verliebt, rattert gerade durch den zweiten Frühling. Seine Lebensgefährtin, bei Berlin zu Hause, versteht sogar seine Motorradleidenschaft – und mehr noch: „Sie ist eine tolle Beifahrerin!“