Von Thilo Alexe
Der Erfolg von Politik lässt sich gelegentlich an der Höhe von Bordsteinkanten messen. Schlechte Politik bringt Senioren mit Rollatoren zum Schwitzen und Stolpern. Gute ermöglicht ihnen den problemlosen Gang zum Supermarkt.
Wie andere Städte auch braucht Weißwasser gute Politik. „Es gibt noch zu viele Stolpersteine“, sagt Simone Linke. Die 43-Jährige will, dass Weißwasser dort, wo es möglich ist, barrierefrei wird. Bei der Kommunalwahl Ende Mai ist Linke auf Anhieb als Rätin gewählt worden. Nicht für eine Partei, sondern für eine Wählervereinigung: Klartext.
Der Erfolg von Politik lässt sich gelegentlich in Zahlen messen. Landesweit hat die CDU bei den Gemeinderatswahlen mehr als 1,5 Millionen Stimmen erhalten. Auf mehr als 1,1 Millionen kommen die freien Wählervereinigungen. Damit bilden lokale Gruppierungen wie die Bürgerinitiative gegen unsoziale Kommunalabgaben (BIKO), Wir für unsere Stadt oder der SV Traktor eine Macht in Sachsen. Addiert man ihre Ergebnisse, sind sie, die Großstädte ausgenommen, mit einem Stimmanteil von fast 24 Prozent zweitstärkste kommunalpolitische Kraft im Freistaat. Politik ohne Partei kommt ganz offenbar an – bei Wählern und Gewählten.
„Uns redet keiner von oben rein“, sagt Simone Linke. Das empfindet auch Anke Weisse als Plus. Die 36-jährige Inhaberin einer Tanzschule ist ebenfalls auf Anhieb für Klartext in den Stadtrat von Weißwasser gewählt worden. Damit umreißen die beiden Stadtratsnovizinnen, was freie Wählervereinigungen so attraktiv erscheinen lässt. Sie sind nicht an überregionale Parteiprogramme gebunden, müssen keine Rücksicht auf eine Landespartei nehmen. Schon gar nicht auf eine regierende. Umgekehrt heißt das aber auch, dass es womöglich an Unterstützung und überregionalen Netzwerken mangelt. Vor allem dann, wenn Kontakte in ein Ministerium oder zum Bund nötig sind.
Weißwasser ist insofern besonders, weil Klartext mit Torsten Pötzsch auch den Oberbürgermeister stellt. Die Gruppierung hat mehr Stimmen als die CDU erhalten und stellt wie diese sechs der 22 Stadträte. Simone Linke und Anke Weisse wurden von der Initiative angesprochen. „Ich habe sofort zugesagt“, erzählt Weisse.
Beide sind in der Stadt bekannt. Anke Weisse richtet in ihrer Tanzschule auch Familienfeiern aus. Simone Linke arbeitet in der örtlichen Touristinformation und kümmert sich zudem ehrenamtlich um Behinderte. Laufen die beiden durch Weißwasser, dauert es nicht lange, bis sie angesprochen werden. „Natürlich versuche ich, bei Problemen zu helfen“, sagt Linke.
Überregional gilt die nur noch etwas mehr als 17.000 Einwohner zählende Stadt in Ostsachsen häufig als Synonym für Abwanderung und Bevölkerungsschwund. Doch es gibt Positives. In der Stadt wird nicht nur die größte Schaumparty der Lausitz ausgetragen. Das Krankenhaus verfügt über eine Entbindungsstation, die traditionsreichen Eishockeyfüchse spielen in einer fast neuen Halle.
Fröhliche Powerfrauen
Die Kommunalpolitik bleibt gefordert. Linke nennt als ein Ziel die Stärkung des Tourismus. Weißwasser müsse sich besser mit Nachbargemeinden vernetzen, um noch mehr um Rad- und Wandertouristen etwa aus Berlin zu werben. Ein ehrgeiziges Ziel.
Simone Linke und Anke Weisse jedenfalls wirken agil, wie fröhliche Powerfrauen. Ihre ohnehin eng getakteten Kalender müssen sie nach dem Wahlerfolg in ihren Smartphones neu ordnen. Dass Politik auch zäh, streitbeladen und langatmig sein kann, wissen sie. „Man muss hartnäckig bleiben können“, sagt Linke. Als jemand, der Behinderte im Umgang mit Behörden unterstützt, weiß sie, wovon sie spricht.
Taugt das Konzept starker Vor-Ort-Initiativen auch für die Landespolitik? „Die starke kommunale Verankerung gilt es jetzt auf die nächste Ebene zu heben“, sagt Bernd Gerber. Der Vorsitzende der Freien Wähler Sachsen hofft auf den Landtagseinzug Ende August mit rund sechs Prozent der Stimmen, sagt aber auch: „Das wird eine knappe Sache.“
Als Spitzenkandidat soll am Freitag Vizelandeschef Steffen Große gewählt werden. Der zweite Listenplatz dürfte an die Ex-Skeleton-Weltmeisterin Diana Sartor gehen, die Kreisrätin in der Sächsischen Schweiz ist. Die Freien Wähler sehen sich als eine Art Rahmen für 960 sächsische Wählervereinigungen. Nicht alle tragen das Konzept der Vernetzung mit. Klartext aus Weißwasser ist nicht dabei.
Die als konservativ geltenden Freien Wähler drängen auf eine starke Polizei, wohnortnahe Schulen und die Stärkung der Kommunalfinanzen. Gerber sagt, dass die CDU Gutes geleistet habe. Aber sie benötige ein starkes Gegengewicht.