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Wie Freital sein erstes Jahrzehnt erlebt

Die Stadt ist nach ihrer Gründung 1921 alles andere als gute betucht. Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot prägen das Bild. Doch es gibt auch Lichtblicke.

Von Heinz Fiedler
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Gartenansicht der Potschappler Steigergaststätte von 1925.
Gartenansicht der Potschappler Steigergaststätte von 1925. © Fiedler

Freital ist unterwegs zu seinem ersten dreistelligen Geburtstag. Im übernächsten Herbst wird die Stadt am Windberg Hundert. Ein stolzes Alter, wobei wir allerdings gemessen, an städtischen Verhältnissen und Traditionen ein noch junges Zuhause haben. Viele Städte in nah und fern sind ungleich betagter. Über eine Stadt im Weißeritztal nahe der sächsischen Metropole Dresden hatte man übrigens schon 1913 debattiert. 

Vor allem der verdienstvolle Deubener Gemeindevorstand Ernst Robert Rudelt bringt das Thema wiederholt zur Sprache. Seine vorauseilenden Gedanken werden 1921 ohne sein direktes Mitwirken Realität. Nach 27-jähriger Amtstätigkeit muss Rudelt im September 1917 aus gesundheitlichen Gründen sein Deubener Amt niederlegen.

Auch unsere junge Stadt sollte in ihrem ersten Lebensjahrzehnt erfahren, was es mit der volkstümlichen Weisheit „Aller Anfang ist schwer“ auf sich hat. Neben einigen Silberstreifen mussten die Stadtväter seiner Zeit mit Sorgen und Problemen leben, missliebige Verhältnisse, die den Alltag jedes zweiten Freitalers beeinträchtigten. Dazu einige Fakten.Die wirtschaftliche Flanke stellt sich in einem düsteren Licht dar. Das Problem: 12.141 Einwohner sind ohne Arbeit, davon zwei Drittel Männer. Die Anzahl der Einwohner, die auf Krisenunterstützung angewiesen sind, liegt 1931 bei vierhundert Prozent über dem Landesdurchschnitt. Eine unheilvolle Situation.

600 neue Arbeitsplätze

Doch es gibt auch Lichtblicke. Am 2. Januar 1931 lässt die Direktion des Döhlener Gussstahlwerkes mitteilen, dass die bescheidene Auftragslage Ende der Zwanzigerjahre überwunden sei. Von heute auf morgen konnte das Unternehmen sechshundert neue Arbeitskräfte einstellen.

Erfreuliches weist auch die Statistik von 1926 aus. Demnach existieren in der gerade erst fünf Jahr alten Stadt bereits 483 Firmen, doppelt so viele wie 1911. Allerdings handelt es sich in erster Linie um Miniobjekte. 385 der Neugründungen beschäftigen weniger als zehn Personen. Nur in 13 Fabriken sind mehr als 150 Arbeiter angestellt. Der erste Platz in der Branchenaufteilung gebührt eindeutig der Eisenindustrie. Auf den Plätzen folgen Maschinen- und Apparatebau, Glasindustrie und Bergbau.

Im März 1931 bildet sich nach landesweitem Vorbild eine Ortsgruppe des „Bundes kinderreicher Familien“, in den sich 24 Freitaler Familien als Mitglieder eintragen. Anliegen der Vereinigung ist es, die Stadtverwaltung so zu beeinflussen, dass sie mehr als bisher Ehepaare mit vier und mehr Kindern wirksam unterstützt.

Ein frommer Wunsch, der sich kaum verwirklichen lässt. Die Rathauskassen sind leer. Nur dann und wann kann die Verwaltung helfend eingreifen. Dass es den Rathausverantwortlichen schließlich gelingt, 600 Schülern einen Monat lang ein kostenloses Mittagessen zu ermöglichen, gleicht schon fast einem Wunder.

Eine Ferienreise können sich die wenigsten Freitaler Familien leisten. Dabei hätten gerade die Kinder eine Luftveränderung gebrauchen können. Über eine 1926 vorgenommene ärztliche Schüleruntersuchung informierte die örtliche Presse: „Unterernährung ist trotz gelegentlicher Zusatzspeisung noch immer nicht überwunden. Bedenklich ist auch die große Zahl der von nervösen Schwächen befallenen Mädchen und Jungen. Bei 14 Prozent der untersuchten 500 Schülern, wurde eine zum Teil beträchtlich erhöhte Erregbarkeit und in 87 Fällen krasse Appetitlosigkeit festgestellt. Gesundheitliche Schäden, die unserer Meinung nach mit auf die von Industriegasen beeinträchtigten Luftverhältnisse im Stadtgebiet zurückzuführen sind.“

Das Radio hält Einzug

Moderne Technik zieht allmählich in die Wohnungen einheimischer Familien ein. 1931 besitzt jeder dreizehnte Haushalt der Stadt ein mehr oder minder leistungsfähiges Radio. Tendenz steigend. Vier Kneipen schließen 1930 ihre Pforten, zwei neue Gastwirtschaften bitten zur Eröffnung. Über mangelnden Zuspruch braucht sich fast keine Einkehr zu beklagen. Freilich lässt ein erheblicher Teil der Gäste, mangels Bargeldes, beim Wirt anschreiben.

Freital darf sich rühmen eine Hochburg des Chorgesanges zu sein. 1931 feiert der Männergesangsverein „Tonwelle“, eine der führenden singenden Gemeinschaften, im Gasthof Döhlen, mit großem Konzert und festlichem Ball 50-jähriges Bestehen.

Trotz unerfreulicher Vorzeichen wie Wohnungsnot oder Erwerbslosigkeit wollen viele Freitaler das Hochzeitmachen nicht abschreiben. 1931 werden 269 Ehen geschlossen und 456 Kinder kommen zur Welt. Über die Anzahl der Scheidungen liegen allerdings keine Angaben vor.Seither hat sich die Stadt kolossal zu ihrem Vorteil verändert. Noch gibt es einige dörfliche Überreste. Doch die Stadt am Windberg ist vor allem in jüngerer Vergangenheit deutlich städtischer geworden. Ein Entwicklungsprozess, der weiter anhält.