Aus für Pirnas IPO-Bürgerbegehren

Für André Liebscher, Daniel Szenes und Thomas Pietzsch hatten im Herbst 2019 ein wichtiges Etappenziel erreicht. Die drei, damals noch vereint in der Wählervereinigung "Pirna kann mehr" (PKM), übergaben am 10. September 3.279 Unterschriften ans Pirnaer Rathaus.
Die Listen mit den Signaturen waren eine der Voraussetzungen dafür, ein Bürgerbegehren zum Thema "Am Feistenberg soll ein Industrie-/Gewerbegebiet entstehen?" zu starten. Es ging dabei um den Industriepark Oberelbe (IPO), den Pirna, Heidenau und Dohna auf einer Fläche von 140 Hektar beidseits des Pirnaer Autobahnzubringers entwickeln wollten.
Die Städte hatten eigens dafür einen Zweckverband gegründet, der das Projekt planen und realisieren sollte. Weil dabei aber aus Sicht von Liebscher, Szenes und Pietzsch die Öffentlichkeit zu wenig einbezogen worden sei, initiierten sie ein Bürgerbegehren, Vorstufe für einen Bürgerentscheid. Diesen Plan zeigten sie am 11. September 2018 dem Rathaus an.
Die Verwaltung hielt das Bürgerbegehren damals schon für unzulässig, musste aber aufgrund der eingereichten Unterschriften noch einmal rechtlich prüfen, ob alle Voraussetzungen für einen Bürgerentscheid vorliegen - oder eben nicht.
Das Ergebnis: Aus Sicht der Stadt bleibt das Bürgerbegehren unzulässig, das hat nun auch der Stadtrat bestätigt - mit einem ungewöhnlichen Stimmverhalten: Vier Abgeordnete votierten dafür, dass das Begehren unzulässig ist, 21 enthielten sich der Stimme. Liebscher, inzwischen selbst Stadtrat, hatte sich vor der Entscheidung für befangen erklärt und nicht mit abgestimmt.
Aber woran ist das Vorhaben letztlich gescheitert? Sächsische.de erklärt die Details.
Warum wurde das Bürgerbegehren initiiert?
Nach dem Pirna, Heidenau und Dohna den IPO-Zweckverband gegründet hatten, nahm das Gewerbegebiet-Projekt schnell Fahrt auf, anfänglich allerdings meist hinter den Kulissen. Die Öffentlichkeit blieb lange außen vor.
Liebscher, Szenes und Pietzsch befürchteten, dass das Vorhaben zu sehr an den Menschen in den drei Städten vorbei geplant werde und daher möglicherweise nur auf wenig Akzeptanz stoße. Sie initiierten ein Bürgerbegehren, um die Öffentlichkeit generell für dieses Thema zu sensibilisieren. Auf diese Weise wollten sie auch ergründen, ob der IPO von einer breiten Mehrheit mitgetragen wird - oder eher nicht. Gleichsam sollte das Bürgerbegehren eine öffentliche Debatte zum IPO anschieben, in die auch kritische Stimmen einfließen.
Woran ist das Begehren letztlich gescheitert?
Nach der rechtlichen Prüfung kommt die Stadt zu dem Fazit: Die formellen Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren sind erfüllt - bis auf kleine Ausnahmen. So wurden beispielsweise nicht alle Unterschriften als gültig bewertet. Die auf Postkarten gesammelten 923 Unterschriften berücksichtigte die Stadt nicht, weil darauf keine Begründung für das Bürgerbegehren stand.
Von den restlichen 2.356 auf gesonderten A-4-Listen gesammelten Unterschriften wertete die Stadt 384 als ungültig, die übrig bleibenden 1.972 Unterschriften hätten aber dennoch ausgereicht, um das nötige Quorum zu erfüllen - laut der Gemeindeordnung muss das Bürgerbegehren von mindestens fünf Prozent der stimmberechtigten Bürger der Stadt unterzeichnet werden.
Gescheitert ist das Begehren letztlich an einer einzigen fehlenden inhaltlichen Voraussetzung, an einem Konstrukt, das quasi gegen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide immun ist. Nämlich daran, dass sich Pirna - wie die beiden anderen Städte auch - eines Zweckverbandes bedient.
Laut der Gemeindeordnung muss sich das Bürgerbegehren auf eine Frage beziehen, für die der Stadtrat zuständig ist - weil ein später daraus folgender Bürgerentscheid einem Beschluss des Rates gleichsteht.
Nach Aussage der Stadt sei das Thema einem Bürgerentscheid allerdings nicht zugänglich, weil es eben nicht in die Zuständigkeit des Stadtrates falle. Es handle es sich vielmehr um eine überörtliche Angelegenheit, die in der Zuständigkeit des Zweckverbandes liege - weil ihm die Aufgabe übertragen worden sei, den IPO zu realisieren.
Selbst ein Bürgerbegehren gegenüber dem IPO-Zweckverband komme nicht in Betracht. Für Aufgaben eines Zweckverbandes sei die Möglichkeit eines Bürgerentscheides nicht vorgesehen, eine auf den Zweckverband übertragene Aufgabe könne also nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein.
Wie reagieren die Initiatoren?
Die Initiatoren sehen zwar ihr Ziel erreicht, sind aber auch verärgert und hoffen, dass auf anderem Weg doch noch ein Bürgerentscheid möglich ist.
"Das Bürgerbegehren scheitert an einer vorgeblich nicht zulässigen Fragestellung. Bürokratie steht damit offenbar über dem erklärten Willen der Bürger", sagt Pietzsch. Diesem deutlich sichtbar gewordenen Willen zum Bürgerentscheid dennoch zu entsprechen, sei nun Sache des Stadtrates. Er habe jetzt die Möglichkeit, den Bürgerentscheid selbst zu beschließen und sich damit den Wunsch der Pirnaer nach Mitbestimmung zu eigen machen. Schließlich hätten fast alle Parteien im Wahlkampf erklärt, die Bürger über Großprojekte mitentscheiden zu lassen.
"Die Macher der Zweckverbandssatzung haben alle wichtigen Befugnisse und Kompetenzen an den Zweckverband übertragen. Damit wurden die demokratischen Mitbestimmungsrechte der Bürger beerdigt", sagt Szenes. Die Argumentation, die Bürger könnten sich innerhalb des Baurechtsverfahrens zum IPO äußern, sei grotesk. Es könne schließlich von keinem Bürger etwas verlangt werden, was selbst Stadträte nicht vollständig überblickten.
Immerhin wertet André Liebscher, inzwischen Mitglieder der Fraktion "Freie Wähler - Wir für Pirna", ebenso gewandelt vom einstigen IPO-Gegner zum IPO-Befürworter, die Aktion als Erfolg. "Auch wenn es jetzt nicht zu einem Bürgerentscheid kommt, so haben wir unser Ziel dennoch erreicht", sagt er. Der Anschub eines Bürgerbegehrens sei das probate Mittel gewesen, auf das Großprojekt aufmerksam zu machen, das bis dahin von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und vorangetrieben worden sei. Darüber hinaus habe erst die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Bürgerbegehren hervorgerufen hat, den Kritikern Raum gegeben, ihre Meinung zum IPO zu äußern sowie Ideen und Kritik in das Verfahren einzubringen.