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Ausbeutung statt Ausbildung

Wirtschaft.Verstöße gegen den Jugendarbeitsschutz sind keine Seltenheit in der Region. Am häufigsten sorgen Überstunden für Konflikte.

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Von Varinia Bernau

Lautstarke Beschimpfungen gehörten zum Alltag, und ab und an wurde auch ein Salzstreuer geworfen. Auf den Altstadtwirt, bei dem er vor zwei Jahren seine Ausbildung zur Fachkraft im Gastronomiegewerbe antrat, ist Billy Menzel nicht gut zu sprechen. „Gezeigt und erklärt wurde uns nie etwas“, erzählt der 18-Jährige. „Und wenn wir dann mal was falsch gemacht haben, waren wir alle gleich bescheuert und behindert und bekamen die Steaks um die Ohren gehauen.“ Nach 17 Monaten wechselte Billy Menzel den Ausbildungsbetrieb.

Problembranche Gastronomie

„In der Gastronomie gibt es auffällig viele Verstöße gegen den Jugendarbeitsschutz“, sagt Matthias Klemm, Gewerkschaftssekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund Ostsachsen. Viele sammeln Erfahrungen wie Billy Menzel, doch nur wenige sprechen offen darüber. Wer eine Lehrstelle ergattert hat, der beißt die Zähne zusammen, um sie auch zu behalten.

„Je knapper die Ausbildungsplätze werden, desto härter wird der Umgang mit den Auszubildenden“, zeigt sich Wolfgang Freudenberg überzeugt. Der Konditormeister ist Vorsitzender des Fördervereins des Berufsschulzentrums und hat 67 junge Leute ausgebildet: 37 in Görlitz, 30 zuvor in Bayern. „Vor der Wende haben wir in Bayern um einen Lehrling gekämpft. Der Nachwuchs war schwach und er wurde gut behandelt“, erinnert sich Wolfgang Freudenberg. „Anfang der 90er gab es eine regelrechte Schwemme an Lehrlingen und immer mehr üble Geschichten machten die Runde.“ Hier habe er ähnliches beobachtet.

Die knappen Lehrstellen in Görlitz und Umgebung bringen nach Ansicht von Freudenberg ein weiteres Problem mit sich: „Wer lernt denn heute noch seinen Traumberuf? Für viele junge Leute ist der Ausbildungsplatz ein Kompromiss. Sie haben falsche Vorstellungen, sind schnell frustriert und gehen entsprechend unmotiviert an die Arbeit, was dann den Ausbildungsbetrieben auf die Füße fällt.“

Die meisten Konflikte gebe es bei den Arbeitszeiten, sagt Jürgen Richter, der bei der Handwerkskammer Dresden die Lehrstellen- und Praktikumsbörse betreut. „Laut Gesetz dürfen Jugendliche unter 18 Jahren keine Überstunden leisten, aber das Spagat zwischen den Vorschriften und der betriebswirtschaftlichen Praxis ist für viele Firmen schwierig.“ Im Baugewerbe etwa müsse in den Sommermonaten geklotzt werden. „Die Truppe fährt in einem Wagen zur Baustelle und spät wieder zurück zum Betrieb. Da fangen die Probleme schon bei der Frage an, wie der Lehrling ohne Führerschein früher von der Baustelle weg kommt“, erläutert Jürgen Richter. Dennoch sei es wichtig, dass die Betriebe das Überstundenkonto nicht zu stark überziehen.

Ärger einfach schlucken

Überstunden müsse man dem Unternehmen schenken, Einsatzbereitschaft zeigen – diese Antwort hat Till Behrens* stets bekommen, wenn er bei seinem Chef das Gespräch suchte. Der 20-Jährige hat in einem Görlitzer Autohaus eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Irgendwann waren 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche zur Normalität geworden. Der Stress nagte an der Gesundheit. Doch das Argument wollte in seinem Ausbildungsbetrieb niemand hören.

Till Behrens wandte sich mit seinen Sorgen an eine Beratungsstelle. Dort bekam er den Hinweis, er solle den Ärger schlucken und froh sein, dass er einen Ausbildungsplatz habe. Auch Behrens hat nach mehreren Monaten den Ausbildungsbetrieb gewechselt. „In der Theorie hat der Lehrling viele Rechte, aber wer will die schon einfordern, wenn er dann ohne abgeschlossene Berufsausbildung dasteht?“

* Name von der Redaktion geändert