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Ausflügler pilgern in die Spechtritzer Schweiz

Die Wellen der Roten Weißeritz haben schon vieles gesehen. Vermutlich auch die viel besungene schöne Müllerin – sie könnte durchaus im Spechtritzgrund zu Hause gewesen sein. Eine Gegend, in der schon Ausgang des 16. Jahrhundert etliche von der Weißeritz angetriebene Mahlgänge klappern.

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Von Heinz Fiedler

Die Wellen der Roten Weißeritz haben schon vieles gesehen. Vermutlich auch die viel besungene schöne Müllerin – sie könnte durchaus im Spechtritzgrund zu Hause gewesen sein. Eine Gegend, in der schon Ausgang des 16. Jahrhundert etliche von der Weißeritz angetriebene Mahlgänge klappern. Damals existieren am unteren Ende des Dorfes Spechtritz bereits zwei Mahl- und eine Brettmühle. Die malerischste hat Jahrhunderte überdauert. Teile der Spechtritzmühle blieben erhalten, freilich nicht in ihrer ursprünglichen Form.

Zwar haben Chronisten diverse Daten gesammelt und festgehalten, doch über das genaue Alter der Mühle lässt sich nur spekulieren. Der älteste Hinweis bezieht sich auf das Jahr 1562. Ein gewisser Antonius Cuntz, der kein hiesiger gewesen sein soll, wird als Mühlenbesitzer ausgewiesen.

Eine Baronesse

als Hausherr

Die Besitzer wechseln häufig. So manchen Müllermeister hält´s nur zwei, drei Jahre in der Einsamkeit des Grundes. Einige Stationen aus der bewegten Historie: Im Juli 1586 geht die Mühle „mit drei Mahlgängen und einem Schneidegange sambt dem Baum- und Krautgärtlein für 1200 Gulden bei 600 Gulden Angeld“ in den Besitz des Asmuss Lorenz über. Seinem Sohn Hans fällt die missliche Aufgabe zu, das Anwesen über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu retten. Durchziehende Soldateska treibt die Müllersleute zur Verzweiflung. Die Müllerin und zwei Mägde flüchten in die Unzugänglichkeit des Grundes. Der Meister muss zusehen, wie die Eindringlinge die Gebäude verwüsten. Lorenz steht vor einem Trümmerhaufen, kann nur mit fremdem Geld einen Neuanfang wagen. 1701 herrscht für ein Jahr die Baronesse de Dubrill über die Mühle. Eine Schönheit mit lockerem Lebenswandel, die sich mehr in ihrem Haus in der Residenz als in der Stille des Weißeritztales aufhält. 13 Jahre später trägt sich Generalquartiermeister Gottfried Gravert in das lange Register der Pächter und Besitzer ein. Laut behördlichem Beschluss darf er „frei bakken, frei schlachten und fremdes Bier ausschenken“.

1791 beginnt das Jahrhundert der Pretzschners, das bis Februar 1877 anhält. Kluge, umsichtige Leute, die bald dahinter kommen, dass sich mit dem Anwesen höhere Einnahmen als bisher erzielen lassen. Begnügt man sich zunächst mit verbotener, illegaler Schnapsbrennerei, erhält man 1831 die Konzession zum Herstellen von Branntwein. 1835 sieht sich Gottlieb Pretzschner am Ziel seiner Wünsche. Er eröffnet eine Gastwirtschaft, die sich vielversprechend anlässt. Als Müller und Wirt in einer Person erweist sich Gottlieb auch in anderer Hinsicht als ein Mann der Tat. In seinen drei Ehen wird er 27 Mal Vater. Mit der Kleinbahn

kommen die Besucher

Als ab November 1882 die Kleinbahn Hainsberg – Schmiedeberg rollt, nimmt der Ausflugsverkehr unwahrscheinlich zu. 1884 wird die Bäckerei aufgegeben, die Dienstleistungen im Mahl- und Schneidebereich verlieren an Bedeutung – nun spielt die Gastwirtschaft die erste Geige. Ein großer Gästesalon entsteht, eine Bastei krönt als Aussichtspunkt den Felsen nahe der Mühle. Bezeichnungen wie „Spechtritzer Schweiz“ und „Schwarzwald“ bürgern sich vorübergehend ein. Eine Veranda am Fuße des Felsens lädt ab 1900 zum Verweilen ein. 1920 entschließt sich Franz Conrad Zingg, ein Schweizer Staatsbürger, zum Bau eines Cafés und einer Kegelbahn.

Keine Frage: Die Spechtritzmühle hat sich als Ausflugseinkehr etabliert. Mitte der 30er Jahre lässt die amtierende Wirtin Therese Balke in mehreren Zeitungen inserieren: „Spechtritzmühle unmittelbar an der Kleinbahnstation Spechtritz. Herrlicher Saal, 100 Personen, Tanzdiele, Gesellschafts- und Fremdenzimmer, schönes Jagdzimmer, romantischer Garten für 600 Personen, Liegewiese, Radeberger Biere, Weine erster Firmen in Flaschen und Schoppen, Küche anerkannt und preiswert.“

Vom einstigen gastronomischen Glanz ist in unseren Tagen nichts mehr geblieben. Sieht man sich an Ort und Stelle um, hat man Mühe, Einrichtungen von damals auszumachen. Vor reichlich zehn Jahren kredenzt Wirt Werner Schumann das letzte Bier. Gesundheitliche Gründe zwingen ihn zur Aufgabe.

In der Folgezeit melden sich einige Interessenten mit zum Teil hochfliegenden Plänen, Illusionen, die sich in keinem Fall erfüllen. Längst hat sich Verfall ausgebreitet, das Objekt an Weißeritzufer und Wanderweg bietet, soweit überhaupt noch vorhanden, einen jämmerlichen Anblick. Es scheint, als würde dieses Stück Heimat für immer keine Zukunft mehr zu haben.