Von Katja Schäfer
Jetzt sind wir kinderreich! Und die Familienkutsche reicht nicht mehr für alle. Aber es ist ja nicht weit von unserem Zuhause zu den Räumen der „Initiative Oberland“ in Wilthen. Dort holen wir ihn ab, unseren Familienzuwachs auf Zeit. Alexej und Sergej, zwei Neunjährige, die sich mit 14 anderen Waisen- und Halbwaisen aus Tschernobyl einen Monat lang hier erholen und die Wochenenden bei Gasteltern verbringen.
Seit ich im letzten Jahr darüber berichtet habe, wuchs die Idee, selbst auch Kinder aufzunehmen. Nun ist es soweit. Mit den anderen Eltern begrüßen wir am Freitagabend unsere Gäste – aufgeregt und voller Fragen. Die drängendste: Wie verständigen wir uns? Zwar haben mein Mann und ich inklusive Studium mehr als zehn Jahre Russisch gelernt, doch die letzte Lektion liegt lange zurück. Zum Glück stehen noch die Wörterbücher im Regal.
Für die Kinder hingegen spielt die Sprachbarriere keine Rolle. Axel und Anton (acht und knapp vier Jahre) verstehen sich mit Alexej und Sergej von Anfang an prima. Schließlich braucht man keine Worte, um gemeinsam beim Baden Spaß zu haben.
Das Toben im kühlen Nass ist am vergangenen Wochenende die Lieblingsbeschäftigung unserer Gäste. „Kupatch? Plawatch?“ Dürfen wir jetzt baden, schwimmen?, fragen sie ständig. Und wenn sie ein „Net“ zur Antwort bekommen, drängeln sie „Kupatch! Kupatch!“ – jedenfalls am Sonntag, als die anfängliche Befangenheit kindlicher Aufgewecktheit gewichen ist. Am liebsten würden Alexej und Sergej nur zwischen Bassin und Computer pendeln – planschen, bis die Lippen blau sind und dann mit noch nasser Badehose Moorhühner jagen oder Bob auf virtuelle Baustellen begleiten. Nur mühsam können wir sie mal weglocken. Auf den Spiel- und Matschplatz in Kirschau (wo sie promt im See baden wollen) oder zum Hoffest der Wilthener Wohnungsbaugesellschaft (WWG). Dort angekommen, ist die Freude groß, denn sie treffen andere aus ihrer Gruppe. Das Glücksrad hat es allen angetan. Sobald sie vorn ihren Gewinn in die Hosentaschen gestopft haben, stellen sie sich wieder hinten an. Kaum dass sie Zeit haben, sich Essen und Trinken auszusuchen für die Gutscheine, die der WWG-Geschäftsführer ihnen spontan spendiert.
Apropos Essen: Unsere Sorgen, dass den Weitgereisten nicht schmecken könnte, was hierzulande auf den Tisch kommt, ist schnell vergessen. Sonnabend werden mittags die Nudeln ebenso weggeputzt, wie abends die am Lagerfeuer gebrutzelten Würstchen. Sonntag bleibt von zwei großen Pfannen voller Fischstäbchen kein Krümel übrig, und Kartoffelmus nimmt Alexej sich gleich dreimal nach.
Als wir die Gastkinder am Sonntag in die Gemeinschaftsunterkunft zurückgebracht und unsere eigenen ins Bett verfrachtet haben, sinken wir in die Sessel. Geschafft, aber auch mit dem guten Gefühl, einen kleinen Beitrag zu leisten, dass Kinder ein paar schöne Tage haben, mit denen es das Leben sonst nicht sehr gut meint. Und wir freuen uns schon auf die nächsten Wochenenden, wenn es wieder heißt: Jetzt sind wir kinderreich.
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