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Ballermänner gehen ins Netz

Computerspiele. Der Kult um den Rechner fasziniert die Jugend. Auf einer Party spielten sie 48 Stunden – bis zur Erschöpfung.

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Von Wulf Stibenz

Dieses Spiel dauert 90 Minuten – kann sich aber auch über viele Stunden hinziehen. Ergo: Kein Fußball. Die Sportler sitzen auf Stühlen, verfolgen jeden Zug des Gegners – aber alle sind bewaffnet. Ergo: Kein Schach. Allerdings ist das, was viele Jugendliche fasziniert, eine Mischung aus Fußball und Schach. Es ist Kampf und Strategie zugleich: Spiele auf dem Computer. Und weil das mit Freunden mehr Spaß macht, als allein gegen den Rechner – gehen die Spieler ins Netz. Die so zusammen gestöpselten Computer bilden die Grundlage für eine LAN-Party, also für die lokale Netzwerk-Feier.

Das Phänomen einer LAN-Party war nun zum sechsten Mal in Kamenz. 48 Stunden lang kämpften am Wochenende Computerfreunde springend, ballernd oder duckend gegeneinander – virtuell. Sämtliche Kampfhandlungen fanden im großen Festsaal des Kamenzer Hotels „Stadt Dresden“ statt. Dort wurden Tische mit zig Computern bestückt. Die verhangenen Fenster sperrten Tageszeit und Wetter komplett aus. Die frische Luft natürlich auch.

„Das Projekt LAN-Party hat funktioniert in Kamenz“, sagt Tino Gude, einer der Veranstalter. 110 Spieler wären nach Kamenz gereist, die Technik habe nicht versagt, die Verpflegung – vom Bier bis zum Frühstück – sei optimal gewesen. „Und vor allem der große Saal ist genial“, sagt Gude, während gestern die viele tausende Euro teure Computertechnik abgebaut und die Putzkolonne durch die verwaisten Reihen zieht. Die Kosten haben sich für die 20-köpfige Gruppe von Organisatoren gedeckt. „Aber für die drei Monate Arbeit, hätten es einige Spieler mehr seien können“, sagt Gude.

Professionelle Organisation

Auch für den Vermieter des umfunktionierten Saals, Geschäftsführer des Hotels Jens Ueberfuhr, sind die jungen Computerfreunde gern gesehen. „Für so große Veranstaltungen ist der Festsaal da – und die Organisatoren haben die Veranstaltung professionell aufgezogen“, sagt Ueberfuhr anerkennend. Sein Resümee: Jederzeit wieder. Und auch die Veranstalter denken schon an das nächste Event: „Es wird wohl eine LAN-Party 2006 geben“, so Organisator Gude. Gerne auch wieder im Kamenzer Hotel – mit sympathischen und friedlichen Spielern.

Symphatisch ja, friedlich eher nicht. Millionen Liter Blut, zig Tote, grausame Morde, wilde Schlachten, brutale Kämpfe gab es auf den elektronischen Spielflächen im Festsaal des Hotels. Spätestens seit dem 24. April 2002 – als der 18-jährige Erfurter und Computerspieler Robert Steinhäuser in der Schule 17 Menschen und sich selbst erschoss – stehen solche Computerfreunde in der Kritik. Eltern sorgen sich um ihre computervernarrten Kinder.

„Die Wissenschaftler streiten sich noch darüber, ob solche Spiele zu Gewalttaten führen“, sagt Diplompsychologe Thomas Schubert vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Technischen Universität in Dresden. Für einen realen Gewaltausbruch, so der Wissenschaftler, seien sehr viele Faktoren notwendig – abhängig von Veranlagung und Freundeskreis. Aggressive Spiele seien nicht allein für Katastrophen wie in Erfurt verantwortlich. Ein Hang zur Gewalt lässt sich jedoch auch in Kamenz nicht leugnen: Die Augen von Simon, einem LAN-Spieler, fixieren ohne zu blinzeln den flimmernden Computermonitor. Dort dirigiert er im Strategiespiel „Command and Conquer Generals“ Panzer, feuert Atomraketen ab, erschießt mit einem Mausklick viele Männchen. Stundenlang.

Spielen mit Maß macht Spaß

Der Reiz der Ballerspiele – allein zu Hause oder in der Gruppe bei LAN-Partys – ist von Psychologen längst analysiert. „Bei Rollenspielen werden Allmachtsfantasien ausgelebt, der Spieler wird zum Helden“, so Schubert. Die Illusion der Wirklichkeit ist dank moderner Computertechnik perfekt. Spieler glauben, in der virtuellen Welt zu sein. Das belegen Studien: „Die Spieler weisen eine höhere Herzfrequenz und andere körperlichen Reaktionen auf.“ Werde in der Computerwelt geschossen, würden sie sich auch in der realen Welt schützend ducken.

„Sorgen macht mir nur, dass die Computerspieler viel Zeit vor dem Rechner verbringen“, so Schubert. Darunter leiden Freunde, Familie oder Sportverein. „Deshalb ist der maßvolle Umgang entscheidend“, sagt Schubert. Dann fördere das Computerspielen auch Fähigkeiten wie Reaktionsschnelligkeit, effektive Faktenanalyse oder strategisches Denken. Ein Klischee über Computerfreaks, sagt Schubert, stimme jedenfalls nicht: „Spieler von heute sind nicht bleiche, schüchterne Typen ohne Freunde.“ Allerdings nur, wenn das Computerspielen ein Hobby sei, nicht der Lebensinhalt.

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