Von Henry Berndt
Das mit dem Stuhl war eigentlich eine Notlösung. Ständig diese unbequemen Barhocker in den Klubs – darauf hatte Sebastian Hackel irgendwann keinen Bock mehr. Deswegen nahm er sich zu seinen Auftritten seine eigene Sitzgelegenheit mit: einen abgewetzten Holzstuhl, den er im Keller gefunden hatte. Inzwischen ist der Stuhl Kult, spätestens seit der 23-Jährige Gast bei „Inas Nacht“ war. An anderen Abenden tritt Annett Louisan in der NDR-Show auf, manchmal Xavier Naidoo oder Jupiter Jones. An diesem Abend war es Sebastian Hackel, Liedermacher aus Dresden. Mehr als ein Jahr lang hatte er die Redaktion mit Mails bombardiert, bis sie ihn endlich nach Hamburg einluden.
Mit seinen gigantischen Dreadlocks und nackten Füßen musste Hackel auf die Fernsehzuschauer wie ein hausbesetzender Oberöko wirken. Der Zusammenschnitt des kurzen Gesprächs tat das Übrige: „Aber Strom hast du zu Hause?“, fragt ihn Ina Müller. Die Leute lachen. Dann beginnt das Lied. Gemeinsam mit der Gastgeberin singt Hackel den Song „Warum sie lacht“ von seinem Debütalbum „Kreideblumen“ und zupft dabei sanft die Gitarre.
„Der Auftritt war schon ein Durchbruch“, sagt Sebastian Hackel heute. Die Albumverkäufe schossen in die Höhe. Zwei Wochen lang sei er bei Amazon in den Top10 der bestverkauften Alben gewesen – und das mit Musik weit abseits des Mainstreams. Das Video von „Inas Nacht“ wurde bei YouTube bis heute über 100.000-mal angeklickt.
Hackels Stimme erinnert ein bisschen an Tim Bendzko, doch seine Texte gehen tiefer. Er schreibt sie alle selbst. Sie erzählen Geschichten vom Gefühl des Lebens – und versprühen Optimismus und Lebensfreude. Nicht gerade üblich bei der neuen deutschen Liedermacherwelle. Das Musikmagazin „Rolling Stone“ schrieb: „Sebastian Hackel ist ein Glückskind, dem vieles in den Schoß fällt, wofür andere hart arbeiten müssen. Zum Beispiel das Talent, eben mal so ein luftiges, spätsommerliches Songschreiberalbum hinzulegen. ,Kreideblumen‘ klingt, als läge seine Heimatstadt Dresden plötzlich am Atlantik.“
Nun sitzt Sebastian Hackel in einem netten Kaffeehaus am Blauen Wunder in Loschwitz und rührt in seinem Milchkaffee. Die Dreadlocks hat er immer noch. Nur Schuhe trägt er zur Abwechslung mal, weil es für nackte Sohlen schlichtweg zu kalt ist. „Ja, so einfach ist das“, sagt er. Die nackten Füße seien schließlich kein Statement. Er fühle sich barfuß einfach wohler. So flog er auch in den Urlaub nach Bilbao – gänzlich ohne Schuhe. Sogar sein Abizeugnis holte er sich barfuß von der Bühne ab. Okay, das sei dann doch eine Provokation gewesen.
Auch wenn man sich gern bestätigt fühlen würde: Dieser junge Mann spielt keinen Reggae, kauft nicht nur im Reformhaus ein, trennt nicht immer sorgfältig den Müll, nimmt keine Drogen und wohnt noch nicht einmal in der Neustadt. Stattdessen zelebriert er liebend gern selbst seine Steuererklärung. Vieles passt nicht zusammen zwischen Schein und Sein – und Sebastian Hackel stört das nicht. Im Gegenteil: Er will in den Köpfen der Leute nicht in starren Bildern festgehalten werden. Einerseits. Andererseits möchte er sich für diesen Text hier nicht extra fotografieren lassen und verweist auf seine Pressebilder. „Ich halte nicht viel von meinem Äußeren“, sagt er entschuldigend.
Wird er im Supermarkt von Senioren kopfschüttelnd auf seine Haare („Kann man die denn waschen?“) oder seine nackten Füße angesprochen, lässt er sich gern mal auf einen kleinen Plausch am Kühlregal ein. „Dann sind die meistens ganz nett plötzlich“, sagt er. Überhaupt kommt er gut klar mit der Stadt und ihren Leuten. Aufgewachsen ist Sebastian Hackel in Zwickau auf dem Land. Seinen Dialekt hat er gleich in der Heimat gelassen. Keine schlechte Idee bei einem Singer-Songwriter. Lange spielte er Schlagzeug in mehreren Schulbands. Gitarre brachte er sich selbst bei. Nach Dresden kam Hackel eigentlich für ein Studium der Philosophie. Er hoffte, es würde ihn inspirieren. Aber es langweilte ihn eher. Also begann er in Dresden eine Ausbildung zum Erzieher. „Mit den Kindern auf dem Spielplatz spielen, das ist ein wunderbarer Ausgleich“, sagt er. Ab und zu geht er auch Babysitten. Sollte es nichts werden mit der Sängerkarriere, hat er hierbei seine Bestimmung gefunden.
Manchmal kann Hackel die Singerei und die Erzieherei sogar verbinden: Für die Kinder auf Arbeit schrieb er ein Schlaflied, das er schon länger erfolgreich vor dem Mittagsschlaf einsetzt. Als ihm dann mal die Besucher ein Konzert in einer Kneipe zerquatschten, stimmte er kurzerhand sein Schlaflied an. Zu seiner eigenen Überraschung wurde es plötzlich still um ihn. Inzwischen ist das Lied fester Bestandteil seiner Auftritte und soll auch einen Ehrenplatz auf dem zweiten Album bekommen. Das ist für das Frühjahr 2014 geplant.
Die besten Ideen für seine Songs hat Hackel beim Duschen. Für die Arbeit im stillen Kämmerlein verwandelt sich sein WG-Zimmer schon mal in eine „Höhle“, der andere Leute besser fernbleiben. Ganz anders bei seinen Konzerten: Vor drei Jahren konnte er seine Besucher noch persönlich begrüßen. Inzwischen sind die Klubs größer geworden, die Reisen weiter. Seine Tourneen führen ihn durch ganz Deutschland, nach Österreich und in die Schweiz. Er ist jetzt Teil der Maschinerie Musikindustrie, die ihn abschreckt und fasziniert zugleich. In den Foyers gibt es Merchandising-Artikel wie T-Shirts und Beutel. Nur sein Gesicht ist nirgendwo drauf. „Das fände ich irgendwie abartig“, sagt er.
Am Freitag (5. April, 20 Uhr) ist Sebastian Hackel im Kino in der Fabrik (Schwarzer Salon) zu Gast.