Wird zu viel abgeholzt in Görlitz?

Kaum eine Woche, in der nicht ein Leserbrief die Redaktion erreicht zum Thema Baumfällung in Görlitz. Meist beschweren sich die Absender über aus ihrer Sicht unnötige Fällungen. Aber ist das so? Wie sieht das die Stadt? Der Görlitzer Bauamtsleiter Torsten Tschage gibt Auskunft.
"Die meisten gefällten Bäume waren krank"
Wie viele Bäume wurden in Görlitz gefällt?
Torsten Tschage: In der abgelaufenen Fäll-Saison mussten in Görlitz 21 Straßenbäume weichen, allein sieben davon in der Südoststraße. 272 Parkbäume wurden gefällt. Darunter befinden sich etwa 80 Bäume an den Weinberghängen, 29 an der Parkeisenbahn, 25 im Ölberggarten, 25 in der Friesenstraße neben der Streuobstwiese, 24 am Inselweg, 22 im Schellergrund, 17 im Berggarten und 13 im Stadtpark.

Warum wurden diese Bäume gefällt?
Torsten Tschage: Die meisten Bäume waren krank. Die Linden in der Südoststraße drohten umzukippen, weil die Bäume im Stammfuß morsch waren. An den Weinberghängen und an der Parkeisenbahn führten Trockenheit und zu viel Sonne zum Absterben von Rotbuchen. Bei Schwarzkiefern, Fichten und Lärchen führte ebenfalls die Trockenheit zum Absterben. Dazu kam der Befall mit dem Borkenkäfer. Beide Ursachen führten auch im Ölberggarten, im Schellergrund, am Berggarten sowie im Birkenwäldchen in Rauschwalde dazu, dass Birken, Fichten und Kiefern abstarben. An der Landeskrone wurden Robinien entfernt, weil sie in diesem Lebensraum fremd sind.
Was sagen Sie zu der Kritik von Görlitzern am Umfang der Baumfällungen?
Torsten Tschage: Die allgemein kritische Betrachtung zu den Baumfällungen ist mir bekannt. Auf unsere Maßnahmen, die wir immer nachvollziehbar erklärt haben, gab es bisher keine negative Reaktion.
Trockenheit greift auch die Bäume in Görlitz stark an
Ist das Baumsterben in Görlitz größer als im Vorjahr?
Torsten Tschage: Bei den Straßenbäumen ist es etwas weniger, was jedoch keine Tendenz darstellt. Auch hier ist der Generationswechsel durch das Alter der Bäume - viele sind weit älter als 100 Jahre - , wegen ihrer Standorte und wegen Beeinträchtigungen weiter im Gange. Bei den Parkbäumen ist es klar ein drastischer Anstieg, der vor allem durch die Schäden durch die Trockenheit der Jahre 2018 und 2019 verursacht wurde. Hier sind zuerst die flach wurzelnden Baumgattungen wie Fichten und Birken von der Austrocknung betroffen. Danach befällt der Borkenkäfer die vorgeschädigten Bäume, wodurch sie schließlich sterben.
Wie sieht es mit Neupflanzungen aus?
Torsten Tschage: Ersatzpflanzungen sind grundsätzlich für Straßenbäume sowie in den meisten Grünanlagen geplant. Während die Straßenbäume wieder in der gleichen Art ersetzt werden können – in der Südoststraße zum Beispiel wieder mit Krim-Linden – steht dies in Grünanlagen noch nicht fest. Hier müssen erst noch Abstimmungen vor allem mit der unteren Denkmalschutzbehörde und dem Landesamt für Denkmalpflege erfolgen. Dabei geht es darum, welche Baumarten der Gestaltungsfunktion und den Standortextremen aufgrund des Klimas zukünftig genügen.
Hier sind oft noch keine zukunftsweisenden Erkenntnisse vorhanden. Wir müssen abwarten, welche Ergebnisse die Forstwissenschaft vorlegt. Am Beispiel Schellergrund südlich vom Rondell wird jedoch eine ursprünglich ausschließlich aus Gemeiner Fichte bestehende Kulissengruppe durch eine Mischung mehrerer Nadelbaumarten ersetzt. Wir hoffen, dass sich zumindest ein oder zwei Arten langfristig bewähren.
Neue Bäume müssen Klimawandel widerstehen
Haben Klimaveränderungen Auswirkungen auf die Auswahl von Gehölzen?
Torsten Tschage: Auf jeden Fall! Da die stadtklimatischen Standortbedingungen – zumindest für Straßenbäume - immer schon von eher baumfeindlicher Prägung waren, wurde in Deutschland ab der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und in Ostdeutschland ab der politischen Wende frühzeitig nach entsprechend geeigneten Baumarten gesucht. Gefunden wurden sie in meteorologisch vergleichbaren Regionen, darunter im Südosten Nordamerikas, in Südeuropa, im Kaukasus, auf dem Balkan und in Ostasien. Das gleiche Vorgehen macht sich jetzt für das Finden geeigneter Baumarten in Parks und Gärten erforderlich.
Woher bezieht die Stadt neue Gehölze?
Torsten Tschage: Die Gehölze müssen aus Baumschulen kommen, die vergleichbare klimatische Verhältnisse haben wie wir. Damit scheidet Baumschulware beispielsweise aus den Niederlanden und aus Italien aus.
Ändert sich das Verhältnis von Grünflächen und bebauter Fläche in Görlitz, wenn der Brautwiesenbogen fertig ist?
Torsten Tschage: Der Brautwiesenpark verändert den Pro-Kopf-Anteil an öffentlicher Grünfläche im Gebiet positiv, dennoch bleibt das Defizit groß: Jeder Bewohner der westlichen Innenstadt verfügt rechnerisch über 1,9 Quadratmeter öffentliche Grünfläche, mit dem Brautwiesenpark steigt der Wert auf 2,2 Quadratmeter. Im Görlitzer Durchschnitt stehen jedem Einwohner allerdings rund 19 Quadratmeter öffentlicher Park- und Grünanlagen zur Verfügung.
Wie schätzt die Stadt den Umgang der Bürger mit ihren Grünflächen ein?
Torsten Tschage: Allgemein beobachten wir eine steigende Wertschätzung unserer Arbeit. Vor allem werden gärtnerisch hochwertige und sanierte Grün- und Parkanlagen sowie gute Spielangebote dankbar angenommen. Hervorzuheben ist das häufige Lob zur Frühjahrs- und Sommerbepflanzung auf den innerstädtischen Schmuckplätzen und die Nachfrage zu Parkführungen, Vorträgen und Publikationsbeiträgen. Großes Interesse bei den Görlitzern begegnet uns beispielsweise während der Parkführungen zum Tag des offenen Denkmals, zu Bilderabenden im Park und zu Parkfesten.
Ärgerlich bleiben Vandalismus, missbräuchliche Nutzung oder Müllablagerungen in vielfältiger Form, die wir jedoch auf Rücksichtslosigkeit und Egoismus Einzelner zurückführen. Pflanzendiebstahl spielt derzeit keine Rolle. Dafür werden jedoch schon mal Granit-Bütten im Wert von 12.000 Euro entwendet, Skulpturen beschädigt oder die Startrampe für die BMX-Anlage in Brand gesetzt. Ärgerlich bleibt ebenso das Verhalten einzelner Hundebesitzer, welche die Gebote zum Beseitigen der Hinterlassenschaften ihrer vierbeinigen Gefährten oder das Betretungsverbot von Liegewiesen ignorieren.