Sachsen
Merken

Bautzen. Die Stadt, der Protest, der Macher

In Bautzen greifen Ideen um sich, die bislang als ziemlich abgedreht galten. Auch Jörg Drews, Chef der Firma Hentschke-Bau, mischt kräftig mit.

Von Ulrich Wolf
 11 Min.
Teilen
Folgen
© Zeichnung: Peter M. Hoffmann

Bautzen. Nur drei Stunden hat es gedauert, bis alle Tickets weg waren. Nicht für ein Konzert oder ein Sportereignis. Nein, es ging um Politik. Um das gesellschaftliche Klima in Bautzen. „Einen Einstieg in den Abend liefern die Bloggerin und Botschafterin für Demokratie und Toleranz, Annalena Schmidt, sowie der Bautzener Unternehmer und Geschäftsführer der Hentschke-Bau GmbH, Jörg Drews“, schrieb die Stadtverwaltung in einer Pressemitteilung. Bereits am nächsten Morgen, zwischen 7.30 Uhr und 10.30 Uhr, waren alle Karten vergeben.

Wegen dieser „unerwartet hohen Nachfrage“ wird die Veranstaltung verlegt. In die Maria-und-Martha-Kirche. Die hat Platz für bis zu 800 Menschen. Und die kommen dann auch am Abend des 8. Februars. Wer zur Orgelempore schaut, entdeckt den Spruch: „Wachset in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesu Christi“. Vermeintliche Erkenntnisse liefert an diesem Abend aber weniger der Messias, sondern Jörg Drews. Als der Bauunternehmer, dunkelblauer Anzug, offenes Hemd, ans Mikro tritt, brandet Applaus auf. 

Der 59-Jährige bezeichnet sich als „wirklichen Bautzener“. Er sagt, er liebe die Stadt. Er sei besorgt, „als Bürger, als Vater und als Großvater“. Er empfinde es als „Zersetzung“, wenn einige versuchten, „eine Verbindung zwischen mir und Reichsbürgern herzustellen“. Er sagt, in einer multikulturellen Gesellschaft gingen Werte verloren. Um das zu verhindern, engagiere er sich politisch.

Jörg Drews bei der Diskussionsveranstaltung "Zurück zur Sachlichkeit" am 8. Februar 2019 in der Maria-Martha-Kirche in Bautzen.
Jörg Drews bei der Diskussionsveranstaltung "Zurück zur Sachlichkeit" am 8. Februar 2019 in der Maria-Martha-Kirche in Bautzen. © imago/xcitepress

Wenige Tage nach diesem Auftritt sagt Pfarrer Christian Tiede, die Kirche sei „in nur wenigen Minuten geflutet worden, wie auf Bestellung“. Und Bauunternehmer Drews gibt seine Stadtratskandidatur für das Bürgerbündnis Bautzen bekannt. Eine prominentere Hilfe ist für das 2005 gegründete Bündnis kaum möglich.

Drews gehört die Firma Hentschke-Bau fast allein. Das Unternehmen ist der größte Steuerzahler der Stadt, der drittgrößte Arbeitgeber und größter AfD-Spender aus Sachsen im Jahr 2017. Kein anderer Betrieb steckt so viel Geld in Sport und Kultur der Region: Fußball, Ski, Reiten, Theater, Sternwarte. Drews selbst ist ein wichtiger Privatinvestor, er hat den Bahnhof gekauft, baut Seniorenheime und Wohnsiedlungen.

Demokratie und Kapitalismus haben ihm geholfen, sein Talent zu entfalten. Ihm, der in der DDR beim VEB Wohnungsbau Bautzen als Taktstraßenleiter arbeitete und den die Stasi nach eigenen Angaben für „imperialistisch zersetzt“ hielt, ihn machte das neue System zum Multimillionär. Zum Bewohner eines Anwesens am Stadtrand. Am schmiedeeisernen Tor zur Auffahrt findet sich ein Schild mit drei weißen Schäferhunden. Darauf steht: „Mein Haus! Mein Garten! Meine Familie!“

In Bautzen ist Drews zu einer Leitfigur geworden für all die Bürger, die sich diffamiert fühlen als Einwohner eines „braunen Nestes“. Er versucht, ihnen „Alternativen“ anzubieten. Mittels einiger lokaler Medien, die er unterstützt. Mittels Bürgerforen und Vorträgen. Als Redner auf Demonstrationen.

Anfang Januar 2016 lud die CDU zu einem offenen Gesprächsforum über die aktuelle Asylpolitik ins Bautzener Brauhaus ein. Zu Wort kommt an diesem Abend auch Drews. "Wie wollen wir denn mit dieser schieren Menge an zu Integrierenden klarkommen?“, fragt er i
Anfang Januar 2016 lud die CDU zu einem offenen Gesprächsforum über die aktuelle Asylpolitik ins Bautzener Brauhaus ein. Zu Wort kommt an diesem Abend auch Drews. "Wie wollen wir denn mit dieser schieren Menge an zu Integrierenden klarkommen?“, fragt er i © SZ/Uwe Soeder

Sein nun verkündeter Einstieg in die Lokalpolitik hat sich bereits seit Januar 2016 angekündigt: Die Initiative „Wir sind Deutschland“ demonstriert, Drews tritt ans Mikrofon. Er sagt, die Kanzlerin verstoße mit ihrem „Anwerben von Menschen aus aller Welt gegen das Gesetz“. Es könne nicht der richtige Weg sein, „unser Volk einfach zu überschwemmen.“ 

Monate später sitzt er mit dem Oberbürgermeister auf einem Podium und sagt, die Medien gäben ein „einheitlich gedrängtes Bild wieder, wie ich das vor 27, 28 Jahren im Neuen Deutschland gesehen habe“. Und als Ende 2018 gegen den UN-Migrationspakt mobil gemacht wird, beruft sich Drews in seiner Rede auf ein US-Geheimdienstpapier, demzufolge bis 2020 aufgrund „islamistischer Hintergründe und innereuropäischer Probleme bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland“ drohten.

Auch viral findet der Unternehmer seine Fans: auf YouTube, Facebook und diversen Blogs. Nicht er selbst ist dort unterwegs, vielmehr nutzen Personen seine regionale Prominenz, um sich und ihre Ideen bekannter zu machen. Ein Beispiel ist der Vorsitzende des Vereins Pro Bargeld – pro Freiheit. Er heißt Thorsten Schulte, war einmal Banker und CDU-Mitglied. Der heutige Finanzberater favorisiert Silber als Vermögensanlage, darum bezeichnet er sich im Internet als „Silberjunge“. Der 46-Jährige ist Autor des im Kopp-Verlag erschienenen Buches „Kontrollverlust“.

Schulte hat mit Drews ein Video gemacht. „Gegen Merkel – für Sachsen!“, heißt es. Der Berater lobt darin den Unternehmer: „Du möchtest die Horizonte der Bürger in deiner Stadt erweitern.“ Von einem „Schweigekartell“ ist die Rede, von „Gleichschaltung“. Drews sagt Sachen wie: Man habe „ein Wahrheitssystem geschaffen, das Blockparteien wie in der DDR“ geformt hätten. Schmunzelnd nimmt er zu Kenntnis, wenn Schulte sagt, jeder Staatsanwalt sei politischen Weisungen unterworfen.* „Das wissen nicht viele, aber das sollten alle in unserem Land wissen", so Schulte, der auf diverse Gesprächsangebote der SZ nicht reagierte.

In einer firmeninternen Mail Ende Juli 2017 empfiehlt Drews seinen rund 700 Mitarbeitern Schultes Werbevideo zum Buch "Kontrollverlust".** Schultes Verein Pro Bargeld – pro Freiheit hat die gleiche Adresse wie Hentschke-Bau. Wer dort im Foyer nach dem Verein fragt, erhält die Telefonnummer eines Mitarbeiters, der nach eigenen Angaben das Firmenmarketing verantwortet. Schulte ist zudem mindestens zweimal bei von Drews geförderten Bürgerforen in Bautzen aufgetreten.

Diese Referate und Diskussionen der Initiative „Von Bürgern für Bürger“ gibt es seit April 2016, meist im Saal des Hotels Residence. Dort heißt es, Hentscke-Bau mache „hier immer solche Bürgerforen, da bestuhlen wir rund 200 Plätze.“ Die Einladungen dazu sind bislang über die Mailadresse [email protected] erfolgt. Darunter steht meist „mit freundlichen Grüßen, Hentschke-Bau GmbH“ oder "Jörg Drews & Veit Gähler".

Der zuletzt Genannte führt ein Spielzeuggeschäft in Bautzen. 1994 war er einmal Pressesprecher des DSU-Kreisverbandes Bautzen. Im Spätherbst 2015 gründet Gähler einen Ableger der Wir-sind-Deutschland-Bewegung in der Kreisstadt. Zum Motiv sagte er damals der SZ: „Wir wollen uns von Pegida abgrenzen.“ Der Bielefelder Konfliktforscher Sebastian Kurtenbach hingegen urteilt über die Bewegung, Teile davon seien den Reichsbürgern zuzurechnen.

Das Foto zeigt Veit Gähler im Jahr 2015.
Das Foto zeigt Veit Gähler im Jahr 2015. © Carmen Schumann (Archivfoto)

Der erste Referent der Bürgerforen ist der ehemalige Verteidigungs-Staatssekretär Willy Wimmer. Insgesamt tritt der inzwischen 75-Jährige dreimal auf, wirbt für seine Bücher „Die Akte Moskau“ und „Deutschland im Umbruch: Vom Diskurs zum Konkurs – eine Republik wird abgewickelt“. Er spricht über das angebliche Versagen des Staates in der Flüchtlingspolitik, über Geopolitik und Medien. Angebote wie Sputnik, Ken-FM und Russia-Today sind für ihn ein Gegengewicht zum „Meinungsmonopol amerikanischer Globalkonzerne“.

Von Wimmers Ansichten ist Drews offenbar angetan. Warum sonst sollte er an seine Mitarbeiter eine „Information von Willy Wimmer zum Thema 100 Jahre und der Kriegseintritt der USA gegen Deutschland und Österreich-Ungarn“ via Mail verschicken? Von einem Mann, der Nato und Europäische Union als „wohlfeile Instrumente für Kriege aller Art“ bezeichnet, die die Deutschen „wieder (…) in Stellung" brächten "gegen Russland und die Russen“? Eine weitere Mail-Empfehlung führt zu der Lektüre eines ehemaligen US-Agenten, der auf seinem Totenbett gestanden haben soll, die CIA habe den Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 geplant, um die Kriege in Afghanistan und dem Irak zu rechtfertigen.***

Durch die Bürgerforen sowie die Berichte darüber in den von Drews unterstützten Lokalmedien erlebt Wimmer in Bautzen einen zweiten politischen Frühling. Er wird Schirmherr der „Oberlausitzer Erklärung zum Erhalt der Meinungsfreiheit“, die sowohl im Spielzeugladen Gählers wie auch am Firmensitz der Hentschke-Bau ausliegt. 

Das Papier fordert „das Ende der negativen Darstellung unserer Heimat Oberlausitz und ihrer Menschen durch eine Minderheit“. Zu den Erstunterzeichnern zählen der Präsident des FSV Budissa Bautzen, dessen Hauptsponsor Hentschke-Bau ist; der Präsident des SV Bautzen, dessen Trikots ein rechtsradikaler Szeneladen sponserte; ein AfD-Politiker, dessen Verlag das Anzeigenblatt Bautzener Bote herausgibt; ein Ingenieur, der als Sprecher einer Bürgerinitiative die Interessen der Anwohner rund um ein Asylheim vertritt.

Willy Wimmer bei einer Konferenz von RT, damals noch Russia Today, im Jahr 2015. Bei RT handelt es sich um einen von Russland finanzierten Auslandsfernsehsender.
Willy Wimmer bei einer Konferenz von RT, damals noch Russia Today, im Jahr 2015. Bei RT handelt es sich um einen von Russland finanzierten Auslandsfernsehsender. © imago/ITAR-TASS

Im Februar dieses Jahres erhält Wimmer den Bautzener Friedenspreis. Kurz zuvor hatte der Ex-Politiker auf dem deutschen Internetauftritt der russischen Nachrichtenagentur Sputnik formuliert, der Friedensvertrag von Versailles im Jahr 1919 habe in „einem ekelerregenden Gegensatz zu allen Grundsätzen europäischer Friedensregelungen“ gestanden und sei „bis heute das angelsächsische Modell zur Verheerung der Welt“.

Wimmer ist nicht der einzige prominente Name, der auf der Referentenliste der Bürgerforen zu entdecken ist: TV-Moderator Peter Hahne, Fondsmanager Max Otte, Psychologe Hans-Joachim Maaz. Ob sie für ihre Auftritte Honorar erhalten haben, bleibt unbeantwortet. Aus Basel reist der Energie- und Friedensforscher Daniele Ganser nach Bautzen, aus Berlin der Chef der Splitterpartei Neue Mitte, Christoph Hörstel. AfD-Landesvorstandsmitglied Maximilian Krah kann seine Ansichten verbreiten, ebenso der als sogenannter Orgonforscher arbeitende Esoteriker Bernd Senf. Ein emeritierter Professor aus Leipzig berichtet über die angebliche Lüge vom Klimawandel.

Sogar eine Schule wird über den Hentschke-Bau-Verteiler kontaktiert. Das Schiller-Gymnasium erhält eine Einladung zu einem Vortrag des von der CSU zur AfD gewechselten Geopolitikers Rainer Rothfuß. Anmeldungen würden nur mit Angabe der vollständigen Kontaktdaten bearbeitet, heißt es. Als im Mai 2018 die EU-Datenschutzgrundverordnung in Kraft tritt, teilt Drews mit: „Das zwingt uns, von allen Empfängern die Zustimmung für den Versand einzuholen. Für die Zustimmung reicht die Rücksendung dieser Email.“