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Friedenspreis für umstrittenen Historiker

Ein Bautzener Verein will den Schweizer Daniele Ganser ehren, obwohl dieser als Verschwörungstheoretiker gilt.

Von Ulli Schönbach
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Daniele Ganser, Historiker und Verschwörungstheoretiker aus der Schweiz, Vortrag im Ostra-Dome
Foto: Christian Juppe  17.11.2019
Daniele Ganser, Historiker und Verschwörungstheoretiker aus der Schweiz, Vortrag im Ostra-Dome Foto: Christian Juppe 17.11.2019 © - keine Angabe im huGO-Archivsys

Bautzen. Der Bautzener Friedenspreis 2020 geht erneut an einen umstrittenen Kandidaten. Wie die Initiative „Bautzener Frieden“ mitteilt, soll die Auszeichnung an den Schweizer Historiker Daniele Ganser verliehen werden. Der 47-Jährige steht in der Kritik, weil er zur Verbreitung von Verschwörungstheorien beiträgt.

Der Preis ist keine Auszeichnung der Stadt Bautzen. Er wird seit 2015 von einem „nicht eingetragenen Verein“ verliehen – zuletzt vor allem an Politiker und Publizisten mit pro-russischen Positionen. Die Preisverleihung findet Ende Januar im Deutsch-Sorbischen Volkstheater statt.

Der Schweizer selbst bezeichnet sich als Friedensforscher und begann zunächst eine klassische akademische Karriere. Schwerpunkt seiner Arbeit sind sogenannte illegale Kriege, also Militäreinsätze, die gegen das Völkerrecht verstoßen und verdeckte Geheimdienst-Operationen. 

Hierfür führt er in seinen Büchern und Vorträgen zahlreiche Beispiele an – vom Sturz des iranischen Präsidenten Mossadegh 1953 durch die USA und Großbritannien bis hin zum Irak-Krieg 2003, der durch die Lüge von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt wurde.

An diesem und anderen Fällen macht Ganser deutlich, wie die öffentliche Stimmung durch Manipulation, Falschaussagen und Propaganda beeinflusst wurde. Dabei kritisiert er die Verstrickung der Medien mit den Eliten von Wirtschaft und Politik.

„Wahres und Verschwörungsschrott“

Auch Kritiker gestehen Ganser zu, dass er akribisch recherchiert und berechtigte Fragen aufwirft. Dennoch hat sich der Autor im seriösen Wissenschaftsbetrieb mittlerweile isoliert. Denn er belässt es nicht bei den Fakten, sondern versteigt sich häufig in wilde Spekulationen. Vom Anschlag auf das New Yorker World Trade Center über das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo bis zum Abschuss des Flugzeugs MH17 über der Ukraine reicht die Liste der Ereignisse, hinter denen Ganser „False-Flag“-Operationen wittert. „Sehr viel Wahres wird gemischt mit steilen Thesen und Verschwörungsschrott“, urteilt die linke Schweizer Wochenzeitung WOZ.

Dem Erfolg beim Publikum tut das keinen Abbruch: Tausende Fans folgen Ganser bei Facebook und YouTube. Der Schweizer ist Bestsellerautor, erfolgreicher Vortragsredner und begehrter Interviewpartner bei den sogenannten „Alternativmedien“. Denn allem Wehklagen über die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit zum Trotz – das Spiel mit den „alternativen Wahrheiten“ ist vor allem eines: ein hervorragendes Geschäft. 

Der Wissenschaftler Michael Butter – Autor eines Buches über Verschwörungstheorien – spricht sogar von einer „Methode Ganser“. Der Schweizer sei die „Lichtgestalt einer Community, in der die Verschwörungstheorien blühen“, schreibt Butter in einem Beitrag für das Schweizer Online-Magazin „Republik“.

Der Historiker selbst ziehe sich dabei meist auf die Position des Skeptikers zurück, der nur Zweifel habe – etwa an der offiziellen Version der Anschläge des 11. September. „Tatsächlich aber stellt Ganser Suggestivfragen, reißt Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht in sein Argument passt.“

Erst vor wenigen Tagen war dies bei einem Vortrag im Dresdner Ostra-Dome zu beobachten. Vor 1.000 Zuschauern wiederholte Ganser seine These: Der Anschlag auf das World Trade wurde nicht von al-Qaida-Terroristen ausgeführt. Bilddokumente und Gutachten, die seiner Darstellung widersprechen, ließ er einfach aus.

Das Ergebnis ist ein Schwarz-Weiß-Bild, wie es auch die Initiative Bautzener Frieden pflegt: Hier die „Mainstream-Medien“ und die Nato, dort die „Alternativmedien“ und Russland, die vermeintliche Friedensmacht. 

Der Bautzener Friedenspreis geht daher vor allem an Persönlichkeiten, die diese Weltsicht stützen. So wurde 2018 der AfD-Politiker Rainer Rothfuß ausgezeichnet – Organisator der „Druschba“-Friedensfahrt nach Moskau. Nach dessen Ehrung kritisierte Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) die Auswahl der Preisträger als „teilweise fragwürdig“. Wenn einer vom Frieden spreche, gleichzeitig aber die Europäische Union verteufle, die den Mitgliedsländern eine lange Phase des Wohlstands und des Friedens gebracht habe, dann wundere er sich schon.

Offener Konflikt Anfang 2019

Zum offenen Konflikt kam es Anfang dieses Jahres bei der Verleihung des Friedenspreises an den früheren Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer. Der langjährige Bundestagsabgeordnete der CDU hatte kurz vor dem Festakt einen Artikel mit dem Titel „Einhundert Jahre nach Versailles: die ’Hunnen’ in Washington“ veröffentlicht. Der Text ist ein über weite Strecken wirres Pamphlet, in dem Wimmer eine Linie vom Ersten Weltkrieg bis zu den Kriegen der Gegenwart zieht. 

Dabei verkürzt er an vielen Stellen die historischen Fakten und wirft zahlreiche fragwürdige Thesen auf. Unter anderem behauptet Wimmer: 2019 sei das Jahr, in dem sich Großbritannien zur „globalen Kriegsfurie“ machen wolle. Den Ersten Weltkrieg bezeichnet er als gegen Deutschland und Österreich-Ungarn geführten „Vernichtungskrieg“. Den Kriegseintritt der USA führt er primär auf „jüdische Interessen“ zurück.

Während Landrat Michael Harig (CDU) Wimmer als „Querdenker“ würdigte, der sich in die Diskussion um Frieden und Demokratie einmische, sagte Bautzens Oberbürgermeister seine Teilnahme an der Preisverleihung ab. Zur Begründung erklärt Alexander Ahrens: „Solche Theorien gehen schon eher in Richtung Volksverhetzung und haben mit dem Thema Frieden nun wahrlich nichts zu tun.“

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