Von Manfred Müller
Ein Open Air, zu dem man durch einen Stallgang gelangt – das gibt es nur im sächsischen Stroga. Ebenso den permanenten Geruch nach Gülle, der von der benachbarten Schweinemastanlage herüberschwappt. Wenn ein Musikfestival Alleinstellungsmerkmale braucht – in dem 140-Seelen-Dorf nördlich von Großenhain gibt es sie zuhauf.
Verantwortlich dafür ist ein 50-köpfiges Organisationsteam, dem die kreativen Ideen nie auszugehen scheinen. Für jeden der Konzertbesucher gab es diesmal eine individuell bedruckte Schürze mit sinnig-unsinnigen Sprüchen Marke „Ich bin vom ADAC – darf ich dich abschleppen?“ Tausend verschiedene Sprüche – da hätten die Köpfe ganz schön geraucht, sagt Organisations-Chef Marc Hitschke. Dann noch die Heiden-Arbeit des Aufdruckens.
Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Die Tickets gingen komplett im Vorverkauf heraus – schon im März, und das innerhalb von drei Tagen. Auch bei der Gestaltung des Festivalgeländes sprühten die Strogaer vor Ideen. Die Hauptbühne war als Phantasialand mit grüner Wiese, glühendem Vulkan und Wasserfall dekoriert. Und das Kuh-Maskottchen „Hackepetra“ bekam einen Gefährten, den furzenden Kugelfisch. An einer Fotobox konnte man sich mit den beiden schrägen Figuren ablichten lassen – was im Laufe des Wochenendes an die 6000 Mal passierte.
Mehr als 70 DJs, Solotüftler und Livebands des Elektropop ließen von Freitag bis Sonntag die Hauswände des beschaulichen Örtchens vibrieren. Hatte das Festival-Team in den vergangenen Jahren vor allem deutsche Musiker eingeladen, so war diesmal die internationale Szene stark vertreten. Der japanische Techno-DJ Ken Ishii etwa hat schon auf großen Festivals in aller Welt aufgelegt. „Und so ein Mann kommt nach Stroga – Wahnsinn!“ freut sich Marc Hitschke. Ebenso die englische Drum-and-Bass-Band „Dub Mafia“ – einer der Senkrechtstarter in diesem Fach. Die talentierten Musiker aus Bristol hatten schon Auftritte beim Ultra Music Festival in den USA und scheuten sich dennoch nicht, ins kleine Stroga zu kommen. Auch etliche Kreative der osteuropäischen Elektropop-Szene brachten einen Hauch der großen weiten Welt ins Dorf. Sie trafen auf Urgesteine der Techno-Musik, wie den Bremer DJ und Produzenten Stephan Bodzin. Auch alte Stroga-Bekannte, wie der Berliner Konrad Küchenmeister, waren wieder angereist. Faszinierend, wie Küchenmeister traditionelles Musikhandwerk mit multimedialer Technik verbindet. Der vielseitige Instrumentalist improvisiert und mixt seine Titel live auf der Bühne. Meist mit Gitarre, Melodika und Percussion, zu denen er Gesang und Beatbox mit modernen Effekten in eine Loopstation einspielte. Dieses elektronische Wunderwerk versetzt alles Eingespielte in eine Endlosschleife und gibt die einzelnen Aufnahmen gleichzeitig übereinander wieder. Damit produziert Konrad Küchenmeister Sounds, für die sonst eine ganze Band gebraucht würde.
Vor elf Jahren hatten die Mitglieder des Strogaer Jugendklubs damit begonnen, auf dem früheren Gutsgelände Technopartys zu veranstalten. Nach und nach kamen Liveacts hinzu, und der Publikumszuspruch wuchs. Deshalb entschlossen sich die Initiatoren, aus dem Musikabend ein Festival zu machen – das vom vergangenen Wochenende war bereits das siebente. Finanziell können die Strogaer keine großen Sprünge machen. Aber die meisten der Künstler und DJs, die hierher kommen, spielen auch nicht für eine Gage, sondern oft nur für Freibier. An die 100 freiwillige Helfer bereiten eine Woche lang das Festivalgelände vor und sorgen während der Veranstaltungstage dafür, dass alles reibungsarm läuft.
„Nennenswerte Probleme hat es bisher nicht gegeben“, erinnert sich Marc Hitschke, „die Techno-Gemeinde ist friedfertig und will einfach nur ihren Spaß haben.“ Mit dem Wetter hatten die Strogaer am vergangenen Wochenende wieder Glück, es war zwar nachts etwas kühl, aber es fiel kein Tropfen Regen. Regelrecht ins Wasser gefallen ist die Veranstaltung noch nie. Die Deckelung bei 1000 Besuchern soll auch in Zukunft beibehalten werden. „Wir muten den Dorfbewohnern an diesem Wochenende allerhand zu“, sagt Marc Hitschke. „Die Chance auf zwei, drei Stunden Nachtschlaf müssen wir ihnen schon lassen.“